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Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878.

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haut ermüden, durfte man nicht dasselbe auch von den inneren
Reizen gelten lassen, soweit sie nur nicht eine krankhafte In-
tensität haben; sonst wäre es ja nicht denkbar gewesen, daß
das durch äußere Reize ermüdete Sehorgan sich trotz der immer
vorhandenen inneren Reize erholen und allmälich wieder auf das
Maximum seiner Empfindlichkeit kommen kann.

In der That hat Aubert1) durch directe Versuche erwiesen,
daß beim Aufenthalt im Dunkeln die Empfindlichkeit zwar an-
fangs rasch, später aber nur noch sehr langsam wächst, und daß
sich also wahrscheinlich eine annähernde Constanz der Empfind-
lichkeit früher oder später herstellt. Wie nun die jetzige Theorie
annehmen muß, daß bei diesem Zustande die erregbare Sub-
stanz in dem Maaße, als sie durch die inneren Reize verbraucht
wird, sich durch einen gleichzeitigen Restitutionsproceß
wieder ersetzt, so nehme auch ich an, daß hierbei Dissimi-
lirung und Assimilirung annähernd gleich groß
sind
.

Je länger wir uns also im ganz dunklen Raume aufhalten,
desto mehr müßte sich nach meiner Theorie das sogenannte
Eigenlicht der mittlen Helligkeit (= 0 · 5) nähern, und sobald das
völlige Gleichgewicht zwischen Dissimilirung und Assimilirung
hergestellt wäre, müßte die Empfindung des mittlen Grau selbst
eintreten.

Wirklich haben wir nun, wie schon früher (§. 23) betont
wurde, nach längerem Aufenthalte im Finstern nicht die Empfin-
dung des Schwarzen, sondern bedeutend hellere Empfindungen;
aber es ist die Wirkung der inneren Reize keine constante und
nicht einmal gleichzeitig in allen Theilen des Sehorganes dieselbe,
so daß jene mittle Empfindung nicht nach Zeit und Raum stetig
vertheilt sein kann. Vielmehr schwankt die Empfindung hin und
her, und wir müssen uns begnügen, nachgewiesen zu haben, daß
das Sehorgan, wenn seine Dissimilirung und Assimilirung an-
nähernd gleich groß sind, von der Empfindung des Schwarzen
ungefähr ebenso weit entfernt ist, als von der des Weißen.

Bedenke ich die durchschnittliche Gesichtsempfindung,
welche ich nach längerem Aufenthalte im Finstern, also z. B.

1) Physiologie der Netzhaut. S. 37.

haut ermüden, durfte man nicht dasselbe auch von den inneren
Reizen gelten lassen, soweit sie nur nicht eine krankhafte In-
tensität haben; sonst wäre es ja nicht denkbar gewesen, daß
das durch äußere Reize ermüdete Sehorgan sich trotz der immer
vorhandenen inneren Reize erholen und allmälich wieder auf das
Maximum seiner Empfindlichkeit kommen kann.

In der That hat Aubert1) durch directe Versuche erwiesen,
daß beim Aufenthalt im Dunkeln die Empfindlichkeit zwar an-
fangs rasch, später aber nur noch sehr langsam wächst, und daß
sich also wahrscheinlich eine annähernde Constanz der Empfind-
lichkeit früher oder später herstellt. Wie nun die jetzige Theorie
annehmen muß, daß bei diesem Zustande die erregbare Sub-
stanz in dem Maaße, als sie durch die inneren Reize verbraucht
wird, sich durch einen gleichzeitigen Restitutionsproceß
wieder ersetzt, so nehme auch ich an, daß hierbei Dissimi-
lirung und Assimilirung annähernd gleich groß
sind
.

Je länger wir uns also im ganz dunklen Raume aufhalten,
desto mehr müßte sich nach meiner Theorie das sogenannte
Eigenlicht der mittlen Helligkeit (= 0 · 5) nähern, und sobald das
völlige Gleichgewicht zwischen Dissimilirung und Assimilirung
hergestellt wäre, müßte die Empfindung des mittlen Grau selbst
eintreten.

Wirklich haben wir nun, wie schon früher (§. 23) betont
wurde, nach längerem Aufenthalte im Finstern nicht die Empfin-
dung des Schwarzen, sondern bedeutend hellere Empfindungen;
aber es ist die Wirkung der inneren Reize keine constante und
nicht einmal gleichzeitig in allen Theilen des Sehorganes dieselbe,
so daß jene mittle Empfindung nicht nach Zeit und Raum stetig
vertheilt sein kann. Vielmehr schwankt die Empfindung hin und
her, und wir müssen uns begnügen, nachgewiesen zu haben, daß
das Sehorgan, wenn seine Dissimilirung und Assimilirung an-
nähernd gleich groß sind, von der Empfindung des Schwarzen
ungefähr ebenso weit entfernt ist, als von der des Weißen.

Bedenke ich die durchschnittliche Gesichtsempfindung,
welche ich nach längerem Aufenthalte im Finstern, also z. B.

1) Physiologie der Netzhaut. S. 37.
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[88/0096] haut ermüden, durfte man nicht dasselbe auch von den inneren Reizen gelten lassen, soweit sie nur nicht eine krankhafte In- tensität haben; sonst wäre es ja nicht denkbar gewesen, daß das durch äußere Reize ermüdete Sehorgan sich trotz der immer vorhandenen inneren Reize erholen und allmälich wieder auf das Maximum seiner Empfindlichkeit kommen kann. In der That hat Aubert 1) durch directe Versuche erwiesen, daß beim Aufenthalt im Dunkeln die Empfindlichkeit zwar an- fangs rasch, später aber nur noch sehr langsam wächst, und daß sich also wahrscheinlich eine annähernde Constanz der Empfind- lichkeit früher oder später herstellt. Wie nun die jetzige Theorie annehmen muß, daß bei diesem Zustande die erregbare Sub- stanz in dem Maaße, als sie durch die inneren Reize verbraucht wird, sich durch einen gleichzeitigen Restitutionsproceß wieder ersetzt, so nehme auch ich an, daß hierbei Dissimi- lirung und Assimilirung annähernd gleich groß sind. Je länger wir uns also im ganz dunklen Raume aufhalten, desto mehr müßte sich nach meiner Theorie das sogenannte Eigenlicht der mittlen Helligkeit (= 0 · 5) nähern, und sobald das völlige Gleichgewicht zwischen Dissimilirung und Assimilirung hergestellt wäre, müßte die Empfindung des mittlen Grau selbst eintreten. Wirklich haben wir nun, wie schon früher (§. 23) betont wurde, nach längerem Aufenthalte im Finstern nicht die Empfin- dung des Schwarzen, sondern bedeutend hellere Empfindungen; aber es ist die Wirkung der inneren Reize keine constante und nicht einmal gleichzeitig in allen Theilen des Sehorganes dieselbe, so daß jene mittle Empfindung nicht nach Zeit und Raum stetig vertheilt sein kann. Vielmehr schwankt die Empfindung hin und her, und wir müssen uns begnügen, nachgewiesen zu haben, daß das Sehorgan, wenn seine Dissimilirung und Assimilirung an- nähernd gleich groß sind, von der Empfindung des Schwarzen ungefähr ebenso weit entfernt ist, als von der des Weißen. Bedenke ich die durchschnittliche Gesichtsempfindung, welche ich nach längerem Aufenthalte im Finstern, also z. B. 1) Physiologie der Netzhaut. S. 37.

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Zitationshilfe: Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/96>, abgerufen am 21.11.2024.