Heyden, Friedrich von: Der graue John. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Verlauf vieler Jahre seit dem Verschwinden des unglücklichen Robert -- seine Geschichte, soweit sie ihm selbst bekannt war, erzählt, und Sie, mein Freund, mögen entscheiden, ob dieselbe die Selbstpeinigung des Sünders rechtfertigt oder nicht. Diejenige Selbstpeinigung, erwiderte Eduard, allerdings, welche aus innerer Bußfertigkeit und Reue besteht, zu welcher aber keine künstlich ausgesponnenen Pläne vernünftelnden Scharfsinnes, sondern nur Regungen eines nach Besserung strebenden frommen Herzens gehören; nicht aber die sinnliche Selbstpeinigung, welcher hauptsächlich äußere Zeichen genügen. Wer weiß, welch ein Leben voll Qual und Entbehrung er sich in seinem Wahne gewählt haben mag: -- wissen wir indessen, ob ihn dieses Leben gereinigt, veredelt und beruhigt, nicht bloß beschwichtigt hat? Jener innern Selbstpeinigung konnte Robert aber auch in seinem Palaste und im würdigen Gebrauche seiner Reichthümer mit dem besten Erfolge nachhängen. Man merkt, daß ein abergläubischer überspannter Götzendiener sein Rathgeber und Vertrauter gewesen, und vor Allem gestehen Sie, mein Freund, Ihr Robert selbst war viel weniger ein Reuiger, als -- ein Sonderling; weniger ein demüthiger Christ, der den Himmel erwerben will, als ein geängsteter Nabob, der sich vor dem Teufel fürchtet. Williams warf nach diesen Worten einen seltsamen Blick auf den jungen Freund, schwieg eine Weile, Verlauf vieler Jahre seit dem Verschwinden des unglücklichen Robert — seine Geschichte, soweit sie ihm selbst bekannt war, erzählt, und Sie, mein Freund, mögen entscheiden, ob dieselbe die Selbstpeinigung des Sünders rechtfertigt oder nicht. Diejenige Selbstpeinigung, erwiderte Eduard, allerdings, welche aus innerer Bußfertigkeit und Reue besteht, zu welcher aber keine künstlich ausgesponnenen Pläne vernünftelnden Scharfsinnes, sondern nur Regungen eines nach Besserung strebenden frommen Herzens gehören; nicht aber die sinnliche Selbstpeinigung, welcher hauptsächlich äußere Zeichen genügen. Wer weiß, welch ein Leben voll Qual und Entbehrung er sich in seinem Wahne gewählt haben mag: — wissen wir indessen, ob ihn dieses Leben gereinigt, veredelt und beruhigt, nicht bloß beschwichtigt hat? Jener innern Selbstpeinigung konnte Robert aber auch in seinem Palaste und im würdigen Gebrauche seiner Reichthümer mit dem besten Erfolge nachhängen. Man merkt, daß ein abergläubischer überspannter Götzendiener sein Rathgeber und Vertrauter gewesen, und vor Allem gestehen Sie, mein Freund, Ihr Robert selbst war viel weniger ein Reuiger, als — ein Sonderling; weniger ein demüthiger Christ, der den Himmel erwerben will, als ein geängsteter Nabob, der sich vor dem Teufel fürchtet. Williams warf nach diesen Worten einen seltsamen Blick auf den jungen Freund, schwieg eine Weile, <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0040"/> Verlauf vieler Jahre seit dem Verschwinden des unglücklichen Robert — seine Geschichte, soweit sie ihm selbst bekannt war, erzählt, und Sie, mein Freund, mögen entscheiden, ob dieselbe die Selbstpeinigung des Sünders rechtfertigt oder nicht.</p><lb/> <p>Diejenige Selbstpeinigung, erwiderte Eduard, allerdings, welche aus innerer Bußfertigkeit und Reue besteht, zu welcher aber keine künstlich ausgesponnenen Pläne vernünftelnden Scharfsinnes, sondern nur Regungen eines nach Besserung strebenden frommen Herzens gehören; nicht aber die sinnliche Selbstpeinigung, welcher hauptsächlich äußere Zeichen genügen. Wer weiß, welch ein Leben voll Qual und Entbehrung er sich in seinem Wahne gewählt haben mag: — wissen wir indessen, ob ihn dieses Leben gereinigt, veredelt und beruhigt, nicht bloß beschwichtigt hat? Jener <hi rendition="#g">innern</hi> Selbstpeinigung konnte Robert aber auch in seinem Palaste und im würdigen Gebrauche seiner Reichthümer mit dem besten Erfolge nachhängen. Man merkt, daß ein abergläubischer überspannter Götzendiener sein Rathgeber und Vertrauter gewesen, und vor Allem gestehen Sie, mein Freund, Ihr Robert selbst war viel weniger ein Reuiger, als — ein <hi rendition="#g">Sonderling</hi>; weniger ein demüthiger Christ, der den Himmel erwerben will, als ein geängsteter Nabob, der sich vor dem Teufel fürchtet.</p><lb/> <p>Williams warf nach diesen Worten einen seltsamen Blick auf den jungen Freund, schwieg eine Weile,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0040]
Verlauf vieler Jahre seit dem Verschwinden des unglücklichen Robert — seine Geschichte, soweit sie ihm selbst bekannt war, erzählt, und Sie, mein Freund, mögen entscheiden, ob dieselbe die Selbstpeinigung des Sünders rechtfertigt oder nicht.
Diejenige Selbstpeinigung, erwiderte Eduard, allerdings, welche aus innerer Bußfertigkeit und Reue besteht, zu welcher aber keine künstlich ausgesponnenen Pläne vernünftelnden Scharfsinnes, sondern nur Regungen eines nach Besserung strebenden frommen Herzens gehören; nicht aber die sinnliche Selbstpeinigung, welcher hauptsächlich äußere Zeichen genügen. Wer weiß, welch ein Leben voll Qual und Entbehrung er sich in seinem Wahne gewählt haben mag: — wissen wir indessen, ob ihn dieses Leben gereinigt, veredelt und beruhigt, nicht bloß beschwichtigt hat? Jener innern Selbstpeinigung konnte Robert aber auch in seinem Palaste und im würdigen Gebrauche seiner Reichthümer mit dem besten Erfolge nachhängen. Man merkt, daß ein abergläubischer überspannter Götzendiener sein Rathgeber und Vertrauter gewesen, und vor Allem gestehen Sie, mein Freund, Ihr Robert selbst war viel weniger ein Reuiger, als — ein Sonderling; weniger ein demüthiger Christ, der den Himmel erwerben will, als ein geängsteter Nabob, der sich vor dem Teufel fürchtet.
Williams warf nach diesen Worten einen seltsamen Blick auf den jungen Freund, schwieg eine Weile,
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