Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyking, Elisabeth von: Zwei Erzählungen. Leipzig, [1918].

Bild:
<< vorherige Seite

Er flüsterte von maßlosen Bestrebungen, vom Wunsche, andere aus längst erworbenem Ansehen zu verdrängen; er weckte das Mißtrauen, mobilisierte überall das Böse, zwang es in seinen Dienst. Und dann war bald die Leere um also Betroffene geschaffen. Von argwöhnisch Lauernden wurden die oft Ahnungslosen umspäht, und bei erstem günstig scheinenden Anlaß fielen die Schadenfrohen wie eine Meute über sie her, verfolgten sie, hetzten sie zu Tode. Auch Großmama hatte solche zu Tode Gehetzten wohl gekannt. Darum dünkte es sie nicht eben sonderbar, daß es im Leben der Völker ganz ähnlich zuging. Daß auch da mit verschiedenerlei Maß gemessen wurde und jede noch so sinnlose Verdächtigung willige Hörer fand. Daß sich auch da alle zusammenscharten, um einen neu Emporstrebenden, sie unbequem Dünkenden hintanzuhalten, ihm als Habsucht und Machtgier anrechnend, was sie sich selbst doch seit Jahrhunderten gestatteten, Haß gegen ihn entfesselnd, Einsamkeit um ihn schaffend, um ihn dann vernichten zu können.

Aber Großmama hatte auch erfahren, daß die Taten der Menschen oftmals ganz andere Wirkungen zeitigen, als diese beabsichtigt. Sie hatte bisweilen erlebt, wie solch ungerecht Befehdete aus aller Not, die Anfeindung und Verfolgung ihnen schufen, doch einen unvorhergesehenen Gewinn retteten; wie aus der Vereinsamung, die ihnen zugedacht worden, eine innere Festigung und Sammlung der Kräfte erwuchsen, ein Gehobensein auf eine höhere Ebene, die wohl einsam zu nennen war, aber einsam durch ihre Stärke, einsam,

Er flüsterte von maßlosen Bestrebungen, vom Wunsche, andere aus längst erworbenem Ansehen zu verdrängen; er weckte das Mißtrauen, mobilisierte überall das Böse, zwang es in seinen Dienst. Und dann war bald die Leere um also Betroffene geschaffen. Von argwöhnisch Lauernden wurden die oft Ahnungslosen umspäht, und bei erstem günstig scheinenden Anlaß fielen die Schadenfrohen wie eine Meute über sie her, verfolgten sie, hetzten sie zu Tode. Auch Großmama hatte solche zu Tode Gehetzten wohl gekannt. Darum dünkte es sie nicht eben sonderbar, daß es im Leben der Völker ganz ähnlich zuging. Daß auch da mit verschiedenerlei Maß gemessen wurde und jede noch so sinnlose Verdächtigung willige Hörer fand. Daß sich auch da alle zusammenscharten, um einen neu Emporstrebenden, sie unbequem Dünkenden hintanzuhalten, ihm als Habsucht und Machtgier anrechnend, was sie sich selbst doch seit Jahrhunderten gestatteten, Haß gegen ihn entfesselnd, Einsamkeit um ihn schaffend, um ihn dann vernichten zu können.

Aber Großmama hatte auch erfahren, daß die Taten der Menschen oftmals ganz andere Wirkungen zeitigen, als diese beabsichtigt. Sie hatte bisweilen erlebt, wie solch ungerecht Befehdete aus aller Not, die Anfeindung und Verfolgung ihnen schufen, doch einen unvorhergesehenen Gewinn retteten; wie aus der Vereinsamung, die ihnen zugedacht worden, eine innere Festigung und Sammlung der Kräfte erwuchsen, ein Gehobensein auf eine höhere Ebene, die wohl einsam zu nennen war, aber einsam durch ihre Stärke, einsam,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0043" n="41"/>
Er flüsterte von maßlosen Bestrebungen, vom Wunsche, andere aus längst erworbenem Ansehen zu verdrängen; er weckte das Mißtrauen, mobilisierte überall das Böse, zwang es in seinen Dienst. Und dann war bald die Leere um also Betroffene geschaffen. Von argwöhnisch Lauernden wurden die oft Ahnungslosen umspäht, und bei erstem günstig scheinenden Anlaß fielen die Schadenfrohen wie eine Meute über sie her, verfolgten sie, hetzten sie zu Tode. Auch Großmama hatte solche zu Tode Gehetzten wohl gekannt. Darum dünkte es sie nicht eben sonderbar, daß es im Leben der Völker ganz ähnlich zuging. Daß auch da mit verschiedenerlei Maß gemessen wurde und jede noch so sinnlose Verdächtigung willige Hörer fand. Daß sich auch da alle zusammenscharten, um einen neu Emporstrebenden, sie unbequem Dünkenden hintanzuhalten, ihm als Habsucht und Machtgier anrechnend, was sie sich selbst doch seit Jahrhunderten gestatteten, Haß gegen ihn entfesselnd, Einsamkeit um ihn schaffend, um ihn dann vernichten zu können.</p>
        <p>Aber Großmama hatte auch erfahren, daß die Taten der Menschen oftmals ganz andere Wirkungen zeitigen, als diese beabsichtigt. Sie hatte bisweilen erlebt, wie solch ungerecht Befehdete aus aller Not, die Anfeindung und Verfolgung ihnen schufen, doch einen unvorhergesehenen Gewinn retteten; wie aus der Vereinsamung, die ihnen zugedacht worden, eine innere Festigung und Sammlung der Kräfte erwuchsen, ein Gehobensein auf eine höhere Ebene, die wohl einsam zu nennen war, aber einsam durch ihre Stärke, einsam,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0043] Er flüsterte von maßlosen Bestrebungen, vom Wunsche, andere aus längst erworbenem Ansehen zu verdrängen; er weckte das Mißtrauen, mobilisierte überall das Böse, zwang es in seinen Dienst. Und dann war bald die Leere um also Betroffene geschaffen. Von argwöhnisch Lauernden wurden die oft Ahnungslosen umspäht, und bei erstem günstig scheinenden Anlaß fielen die Schadenfrohen wie eine Meute über sie her, verfolgten sie, hetzten sie zu Tode. Auch Großmama hatte solche zu Tode Gehetzten wohl gekannt. Darum dünkte es sie nicht eben sonderbar, daß es im Leben der Völker ganz ähnlich zuging. Daß auch da mit verschiedenerlei Maß gemessen wurde und jede noch so sinnlose Verdächtigung willige Hörer fand. Daß sich auch da alle zusammenscharten, um einen neu Emporstrebenden, sie unbequem Dünkenden hintanzuhalten, ihm als Habsucht und Machtgier anrechnend, was sie sich selbst doch seit Jahrhunderten gestatteten, Haß gegen ihn entfesselnd, Einsamkeit um ihn schaffend, um ihn dann vernichten zu können. Aber Großmama hatte auch erfahren, daß die Taten der Menschen oftmals ganz andere Wirkungen zeitigen, als diese beabsichtigt. Sie hatte bisweilen erlebt, wie solch ungerecht Befehdete aus aller Not, die Anfeindung und Verfolgung ihnen schufen, doch einen unvorhergesehenen Gewinn retteten; wie aus der Vereinsamung, die ihnen zugedacht worden, eine innere Festigung und Sammlung der Kräfte erwuchsen, ein Gehobensein auf eine höhere Ebene, die wohl einsam zu nennen war, aber einsam durch ihre Stärke, einsam,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-01-15T09:32:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-15T09:32:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-15T09:32:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyking_erzaehlungen_1918
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyking_erzaehlungen_1918/43
Zitationshilfe: Heyking, Elisabeth von: Zwei Erzählungen. Leipzig, [1918], S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyking_erzaehlungen_1918/43>, abgerufen am 21.11.2024.