Heyking, Elisabeth von: Zwei Erzählungen. Leipzig, [1918].weil das Böse nicht hinreichte und dort nicht mehr verletzen konnte. Es gab Menschen, deren Leben schon auf dieser Erde wie ein Leben nach dem Tode war, weil sie durch die Qual der tiefsten Verlassenheit einmal geschritten waren - und das, was sie danach gefunden, war eben das bessere, das höhere Leben. Und Großmama sagte sich, daß, wie jeder Einzelne, wohl auch jede Gesamtheit einmal das äußerste Maß ihrer Leidensfähigkeit erreichen muß, daß aber eine Macht, die über allem steht, bestimmt, was das endgültige Ergebnis solchen Leidens sein soll, und oftmals zu Gewinn wandelt, was Feindestücke zu Verderb ersann. Auf solche Erfahrung verwies sie, die in langem Leben still und weise Gewordene, manche Jüngere, wenn sie bei ihr Aussprache suchten, ganz verstört ob all des Schauerlichen, das sich ihnen urplötzlich offenbart hatte. Jüngere, die in allem Augenblicklichen noch Endergebnisse zu schauen wähnten, weil sie noch nicht, wie Großmama, erfahren, daß alles wandelbar ist, und denen Bosheit und Machtmißbrauch deshalb so ganz unerträglich dünkten, weil sie jedes ihnen bekannte Recht umzustoßen schienen, und sie darin etwas Unrichtiges, gleichsam einen Rechnungsfehler sahen, der das ganze Lebensexempel, das doch glatt aufgehen sollte, dauernd verwirren mußte. Bei solchen Gesprächen verwies Großmama dann wohl bisweilen auf das Deckengemälde in ihrer Schloßkapelle. Da sahen auch Säulen und Bogen schief und verzerrt aus, als müßten sie gleich umstürzen; aber von einem bestimmten Punkt aus betrachtet, erwies sich weil das Böse nicht hinreichte und dort nicht mehr verletzen konnte. Es gab Menschen, deren Leben schon auf dieser Erde wie ein Leben nach dem Tode war, weil sie durch die Qual der tiefsten Verlassenheit einmal geschritten waren – und das, was sie danach gefunden, war eben das bessere, das höhere Leben. Und Großmama sagte sich, daß, wie jeder Einzelne, wohl auch jede Gesamtheit einmal das äußerste Maß ihrer Leidensfähigkeit erreichen muß, daß aber eine Macht, die über allem steht, bestimmt, was das endgültige Ergebnis solchen Leidens sein soll, und oftmals zu Gewinn wandelt, was Feindestücke zu Verderb ersann. Auf solche Erfahrung verwies sie, die in langem Leben still und weise Gewordene, manche Jüngere, wenn sie bei ihr Aussprache suchten, ganz verstört ob all des Schauerlichen, das sich ihnen urplötzlich offenbart hatte. Jüngere, die in allem Augenblicklichen noch Endergebnisse zu schauen wähnten, weil sie noch nicht, wie Großmama, erfahren, daß alles wandelbar ist, und denen Bosheit und Machtmißbrauch deshalb so ganz unerträglich dünkten, weil sie jedes ihnen bekannte Recht umzustoßen schienen, und sie darin etwas Unrichtiges, gleichsam einen Rechnungsfehler sahen, der das ganze Lebensexempel, das doch glatt aufgehen sollte, dauernd verwirren mußte. Bei solchen Gesprächen verwies Großmama dann wohl bisweilen auf das Deckengemälde in ihrer Schloßkapelle. Da sahen auch Säulen und Bogen schief und verzerrt aus, als müßten sie gleich umstürzen; aber von einem bestimmten Punkt aus betrachtet, erwies sich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0044" n="42"/> weil das Böse nicht hinreichte und dort nicht mehr verletzen konnte. Es gab Menschen, deren Leben schon auf dieser Erde wie ein Leben nach dem Tode war, weil sie durch die Qual der tiefsten Verlassenheit einmal geschritten waren – und das, was sie danach gefunden, war eben das bessere, das höhere Leben. Und Großmama sagte sich, daß, wie jeder Einzelne, wohl auch jede Gesamtheit einmal das äußerste Maß ihrer Leidensfähigkeit erreichen muß, daß aber eine Macht, die über allem steht, bestimmt, was das endgültige Ergebnis solchen Leidens sein soll, und oftmals zu Gewinn wandelt, was Feindestücke zu Verderb ersann. Auf solche Erfahrung verwies sie, die in langem Leben still und weise Gewordene, manche Jüngere, wenn sie bei ihr Aussprache suchten, ganz verstört ob all des Schauerlichen, das sich ihnen urplötzlich offenbart hatte. Jüngere, die in allem Augenblicklichen noch Endergebnisse zu schauen wähnten, weil sie noch nicht, wie Großmama, erfahren, daß alles wandelbar ist, und denen Bosheit und Machtmißbrauch deshalb so ganz unerträglich dünkten, weil sie jedes ihnen bekannte Recht umzustoßen schienen, und sie darin etwas Unrichtiges, gleichsam einen Rechnungsfehler sahen, der das ganze Lebensexempel, das doch glatt aufgehen sollte, dauernd verwirren mußte. Bei solchen Gesprächen verwies Großmama dann wohl bisweilen auf das Deckengemälde in ihrer Schloßkapelle. Da sahen auch Säulen und Bogen schief und verzerrt aus, als müßten sie gleich umstürzen; aber von einem bestimmten Punkt aus betrachtet, erwies sich </p> </div> </body> </text> </TEI> [42/0044]
weil das Böse nicht hinreichte und dort nicht mehr verletzen konnte. Es gab Menschen, deren Leben schon auf dieser Erde wie ein Leben nach dem Tode war, weil sie durch die Qual der tiefsten Verlassenheit einmal geschritten waren – und das, was sie danach gefunden, war eben das bessere, das höhere Leben. Und Großmama sagte sich, daß, wie jeder Einzelne, wohl auch jede Gesamtheit einmal das äußerste Maß ihrer Leidensfähigkeit erreichen muß, daß aber eine Macht, die über allem steht, bestimmt, was das endgültige Ergebnis solchen Leidens sein soll, und oftmals zu Gewinn wandelt, was Feindestücke zu Verderb ersann. Auf solche Erfahrung verwies sie, die in langem Leben still und weise Gewordene, manche Jüngere, wenn sie bei ihr Aussprache suchten, ganz verstört ob all des Schauerlichen, das sich ihnen urplötzlich offenbart hatte. Jüngere, die in allem Augenblicklichen noch Endergebnisse zu schauen wähnten, weil sie noch nicht, wie Großmama, erfahren, daß alles wandelbar ist, und denen Bosheit und Machtmißbrauch deshalb so ganz unerträglich dünkten, weil sie jedes ihnen bekannte Recht umzustoßen schienen, und sie darin etwas Unrichtiges, gleichsam einen Rechnungsfehler sahen, der das ganze Lebensexempel, das doch glatt aufgehen sollte, dauernd verwirren mußte. Bei solchen Gesprächen verwies Großmama dann wohl bisweilen auf das Deckengemälde in ihrer Schloßkapelle. Da sahen auch Säulen und Bogen schief und verzerrt aus, als müßten sie gleich umstürzen; aber von einem bestimmten Punkt aus betrachtet, erwies sich
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2013-01-15T09:32:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-01-15T09:32:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2013-01-15T09:32:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |