Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.ihn leise zu sich. "Es muß dich nicht so kümmern," Er ließ sich nicht beruhigen, und der Arzt drang Es war hohe Zeit, ihm die Binde wieder umzu¬ Am folgenden Tag aber forderten Freude, Wi߬ ihn leiſe zu ſich. „Es muß dich nicht ſo kümmern,“ Er ließ ſich nicht beruhigen, und der Arzt drang Es war hohe Zeit, ihm die Binde wieder umzu¬ Am folgenden Tag aber forderten Freude, Wi߬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0034" n="22"/> ihn leiſe zu ſich. „Es muß dich nicht ſo kümmern,“<lb/> ſagte ſie. „Es kommt Alles von Gott. Freue dich<lb/> nur, wie ich mich freue, daß du geheilt biſt. Du<lb/> weißt ja, ich habe nie ſonderlich danach verlangt.<lb/> Nun wär' ich's auch zufrieden, wenn es meine Eltern<lb/> nicht ſo betrübte. Aber ſie werden ſich daran ge¬<lb/> wöhnen, und du auch, und ſo wird es gut werden,<lb/> wenn du mich nur lieb behältſt, da ich nun bleibe,<lb/> wie ich war.“</p><lb/> <p>Er ließ ſich nicht beruhigen, und der Arzt drang<lb/> darauf, die Kinder zu trennen. Man führte Cle¬<lb/> mens hinunter in das größere Zimmer, wo ſich die<lb/> Leute aus dem Dorf um ihn drängten. Sie drückten<lb/> ihm der Reihe nach die Hand und ſagten herzliche<lb/> Worte. Ihn betäubte die Menge. Er ſagte nichts<lb/> als: „Wißt ihr auch ſchon, Marlene iſt blind ge¬<lb/> blieben!“ Und weinte dann von neuem.</p><lb/> <p>Es war hohe Zeit, ihm die Binde wieder umzu¬<lb/> thun und ihn in ein einſames, kühles Zimmer zu<lb/> bringen. Da lag er und war erſchöpft von Freude,<lb/> Schmerz und Weinen. Der Vater ſprach mild und<lb/> fromm zu ihm, was ihm doch wenig half. Auch im<lb/> Schlaf weinte er viel und ſchien ängſtlich zu träumen.</p><lb/> <p>Am folgenden Tag aber forderten Freude, Wi߬<lb/> begier und Staunen ihr Recht an ihn, und die<lb/> Trauer über Marlenen ſchien ihm nur nahe zu kom¬<lb/> men, wenn er ſie ſah. Er hatte ſie gleich in der<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [22/0034]
ihn leiſe zu ſich. „Es muß dich nicht ſo kümmern,“
ſagte ſie. „Es kommt Alles von Gott. Freue dich
nur, wie ich mich freue, daß du geheilt biſt. Du
weißt ja, ich habe nie ſonderlich danach verlangt.
Nun wär' ich's auch zufrieden, wenn es meine Eltern
nicht ſo betrübte. Aber ſie werden ſich daran ge¬
wöhnen, und du auch, und ſo wird es gut werden,
wenn du mich nur lieb behältſt, da ich nun bleibe,
wie ich war.“
Er ließ ſich nicht beruhigen, und der Arzt drang
darauf, die Kinder zu trennen. Man führte Cle¬
mens hinunter in das größere Zimmer, wo ſich die
Leute aus dem Dorf um ihn drängten. Sie drückten
ihm der Reihe nach die Hand und ſagten herzliche
Worte. Ihn betäubte die Menge. Er ſagte nichts
als: „Wißt ihr auch ſchon, Marlene iſt blind ge¬
blieben!“ Und weinte dann von neuem.
Es war hohe Zeit, ihm die Binde wieder umzu¬
thun und ihn in ein einſames, kühles Zimmer zu
bringen. Da lag er und war erſchöpft von Freude,
Schmerz und Weinen. Der Vater ſprach mild und
fromm zu ihm, was ihm doch wenig half. Auch im
Schlaf weinte er viel und ſchien ängſtlich zu träumen.
Am folgenden Tag aber forderten Freude, Wi߬
begier und Staunen ihr Recht an ihn, und die
Trauer über Marlenen ſchien ihm nur nahe zu kom¬
men, wenn er ſie ſah. Er hatte ſie gleich in der
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