Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.Tags hatten die Mädchen ein Gekicher und Gezischel, Marlene verlor keines von diesen Worten, und Sie ward immer fester in sich, immer entsagender. Tags hatten die Mädchen ein Gekicher und Geziſchel, Marlene verlor keines von dieſen Worten, und Sie ward immer feſter in ſich, immer entſagender. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0051" n="39"/> Tags hatten die Mädchen ein Gekicher und Geziſchel,<lb/> daß ich kein Wort mit ihnen redete vor Aerger. Sie<lb/> ſollen mich zufrieden laſſen, denn ich habe keine Zeit<lb/> für ihre Narrheiten.“</p><lb/> <p>Marlene verlor keines von dieſen Worten, und<lb/> ſpann ein endloſes Geſpinnſt von wunderlichen Ge¬<lb/> danken aus ihnen. Faſt wäre ſie in Gefahr gekom¬<lb/> men, in unfruchtbaren Träumen hinzukränkeln, wenn<lb/> nicht begründetere Sorge und ernſthafterer Schmerz<lb/> ſie gerettet hätten. Ihr Vater, der lange ſchon nur<lb/> mit Anſtrengung ſeinen Dienſt verſehen hatte, wurde<lb/> durch einen Schlaganfall gelähmt, und lag faſt ein<lb/> Jahr im hilfloſeſten Zuſtande, bis ein zweiter Schlag<lb/> ſeine Leiden verkürzte. Keine Stunde wich ſein Kind<lb/> von ſeiner Seite. Auch in den Ferien, die Clemens<lb/> ins Dorf führten, gönnte ſie ſich nicht, ihn länger<lb/> zu ſprechen, als wenn er auf Viertelſtunden in das<lb/> Krankenzimmer kam.</p><lb/> <p>Sie ward immer feſter in ſich, immer entſagender.<lb/> Keinem klagte ſie und hätte Keines bedurft, wenn<lb/> ihre Blindheit ihr Alles ſelbſt zu thun erlaubt hätte.<lb/> Und dies ihr Unglück, das ſie innerlich erzog, ge¬<lb/> wöhnte ſie auch an häusliche Tugenden, die manche<lb/> Sehende vernachläſſigen. Sie hielt die genaueſte Ord¬<lb/> nung in allen Dingen, die ſie zu verwalten hatte,<lb/> und that ſich nie genug in Sauberkeit, weil ſie mit<lb/> den Augen nicht beurtheilen konnte, wann das letzte<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [39/0051]
Tags hatten die Mädchen ein Gekicher und Geziſchel,
daß ich kein Wort mit ihnen redete vor Aerger. Sie
ſollen mich zufrieden laſſen, denn ich habe keine Zeit
für ihre Narrheiten.“
Marlene verlor keines von dieſen Worten, und
ſpann ein endloſes Geſpinnſt von wunderlichen Ge¬
danken aus ihnen. Faſt wäre ſie in Gefahr gekom¬
men, in unfruchtbaren Träumen hinzukränkeln, wenn
nicht begründetere Sorge und ernſthafterer Schmerz
ſie gerettet hätten. Ihr Vater, der lange ſchon nur
mit Anſtrengung ſeinen Dienſt verſehen hatte, wurde
durch einen Schlaganfall gelähmt, und lag faſt ein
Jahr im hilfloſeſten Zuſtande, bis ein zweiter Schlag
ſeine Leiden verkürzte. Keine Stunde wich ſein Kind
von ſeiner Seite. Auch in den Ferien, die Clemens
ins Dorf führten, gönnte ſie ſich nicht, ihn länger
zu ſprechen, als wenn er auf Viertelſtunden in das
Krankenzimmer kam.
Sie ward immer feſter in ſich, immer entſagender.
Keinem klagte ſie und hätte Keines bedurft, wenn
ihre Blindheit ihr Alles ſelbſt zu thun erlaubt hätte.
Und dies ihr Unglück, das ſie innerlich erzog, ge¬
wöhnte ſie auch an häusliche Tugenden, die manche
Sehende vernachläſſigen. Sie hielt die genaueſte Ord¬
nung in allen Dingen, die ſie zu verwalten hatte,
und that ſich nie genug in Sauberkeit, weil ſie mit
den Augen nicht beurtheilen konnte, wann das letzte
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