Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

und suchte nach Worten. "Laß, mein Sohn," sagte
der Alte abwehrend. "Was willst du mir geben, das
mir nicht Himmlische besser gegeben hätten? Sieh,
es war kurz nach seinem Tode, ich schlief hier oben,
die Nacht mit Sturm und Regen weckte mich, ich
war betrübt bis zum Tode: da erschien er mir, es
leuchtete um ihn -- er war in seinen Kleidern als
lebte er, sprach aber nicht, sondern stand zu Füßen
des Bettes und sah still auf mich nieder. Erst griff
es mich hart an. Ich war der Gnade nicht gewach¬
sen, ein verklärtes Angesicht zu sehn. Andern Tags
empfand ich den Frieden, den es mir zurückgelassen
hatte. Seitdem kam es nicht wieder. Aber die letzte
Nacht -- ich hatte am Abend eine Schrift gelesen,
aufrührerisch gegen Gott und Gotteswort, und war
im Zorn zu Bett gegangen -- da war es nach Mit¬
ternacht, als ich wieder auffahre, und er steht vor
mir, angethan wie damals, aber in Händen die Bi¬
bel, aufgeschlagen und mit goldner Schrift geschrie¬
ben. Er weis't mit dem Finger darauf, aber es ging
ein Glanz aus von den Blättern, daß ich vergebens
hinstarre und vor Fülle des Lichts keine Zeile lesen
kann. Ich näherte mich ihm, halbaufgerichtet; er
stand, Mitleid und Liebe im Angesicht, die immer
mehr der Angst wichen, je mehr ich zu lesen strebte
und es nicht vermochte. Da gingen von der Klar¬

und ſuchte nach Worten. „Laß, mein Sohn,“ ſagte
der Alte abwehrend. „Was willſt du mir geben, das
mir nicht Himmliſche beſſer gegeben hätten? Sieh,
es war kurz nach ſeinem Tode, ich ſchlief hier oben,
die Nacht mit Sturm und Regen weckte mich, ich
war betrübt bis zum Tode: da erſchien er mir, es
leuchtete um ihn — er war in ſeinen Kleidern als
lebte er, ſprach aber nicht, ſondern ſtand zu Füßen
des Bettes und ſah ſtill auf mich nieder. Erſt griff
es mich hart an. Ich war der Gnade nicht gewach¬
ſen, ein verklärtes Angeſicht zu ſehn. Andern Tags
empfand ich den Frieden, den es mir zurückgelaſſen
hatte. Seitdem kam es nicht wieder. Aber die letzte
Nacht — ich hatte am Abend eine Schrift geleſen,
aufrühreriſch gegen Gott und Gotteswort, und war
im Zorn zu Bett gegangen — da war es nach Mit¬
ternacht, als ich wieder auffahre, und er ſteht vor
mir, angethan wie damals, aber in Händen die Bi¬
bel, aufgeſchlagen und mit goldner Schrift geſchrie¬
ben. Er weiſ't mit dem Finger darauf, aber es ging
ein Glanz aus von den Blättern, daß ich vergebens
hinſtarre und vor Fülle des Lichts keine Zeile leſen
kann. Ich näherte mich ihm, halbaufgerichtet; er
ſtand, Mitleid und Liebe im Angeſicht, die immer
mehr der Angſt wichen, je mehr ich zu leſen ſtrebte
und es nicht vermochte. Da gingen von der Klar¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0057" n="45"/>
und &#x017F;uchte nach Worten. &#x201E;Laß, mein Sohn,&#x201C; &#x017F;agte<lb/>
der Alte abwehrend. &#x201E;Was will&#x017F;t du mir geben, das<lb/>
mir nicht Himmli&#x017F;che be&#x017F;&#x017F;er gegeben hätten? Sieh,<lb/>
es war kurz nach &#x017F;einem Tode, ich &#x017F;chlief hier oben,<lb/>
die Nacht mit Sturm und Regen weckte mich, ich<lb/>
war betrübt bis zum Tode: da er&#x017F;chien er mir, es<lb/>
leuchtete um ihn &#x2014; er war in &#x017F;einen Kleidern als<lb/>
lebte er, &#x017F;prach aber nicht, &#x017F;ondern &#x017F;tand zu Füßen<lb/>
des Bettes und &#x017F;ah &#x017F;till auf mich nieder. Er&#x017F;t griff<lb/>
es mich hart an. Ich war der Gnade nicht gewach¬<lb/>
&#x017F;en, ein verklärtes Ange&#x017F;icht zu &#x017F;ehn. Andern Tags<lb/>
empfand ich den Frieden, den es mir zurückgela&#x017F;&#x017F;en<lb/>
hatte. Seitdem kam es nicht wieder. Aber die letzte<lb/>
Nacht &#x2014; ich hatte am Abend eine Schrift gele&#x017F;en,<lb/>
aufrühreri&#x017F;ch gegen Gott und Gotteswort, und war<lb/>
im Zorn zu Bett gegangen &#x2014; da war es nach Mit¬<lb/>
ternacht, als ich wieder auffahre, und er &#x017F;teht vor<lb/>
mir, angethan wie damals, aber in Händen die Bi¬<lb/>
bel, aufge&#x017F;chlagen und mit goldner Schrift ge&#x017F;chrie¬<lb/>
ben. Er wei&#x017F;'t mit dem Finger darauf, aber es ging<lb/>
ein Glanz aus von den Blättern, daß ich vergebens<lb/>
hin&#x017F;tarre und vor Fülle des Lichts keine Zeile le&#x017F;en<lb/>
kann. Ich näherte mich ihm, halbaufgerichtet; er<lb/>
&#x017F;tand, Mitleid und Liebe im Ange&#x017F;icht, die immer<lb/>
mehr der Ang&#x017F;t wichen, je mehr ich zu le&#x017F;en &#x017F;trebte<lb/>
und es nicht vermochte. Da gingen von der Klar¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0057] und ſuchte nach Worten. „Laß, mein Sohn,“ ſagte der Alte abwehrend. „Was willſt du mir geben, das mir nicht Himmliſche beſſer gegeben hätten? Sieh, es war kurz nach ſeinem Tode, ich ſchlief hier oben, die Nacht mit Sturm und Regen weckte mich, ich war betrübt bis zum Tode: da erſchien er mir, es leuchtete um ihn — er war in ſeinen Kleidern als lebte er, ſprach aber nicht, ſondern ſtand zu Füßen des Bettes und ſah ſtill auf mich nieder. Erſt griff es mich hart an. Ich war der Gnade nicht gewach¬ ſen, ein verklärtes Angeſicht zu ſehn. Andern Tags empfand ich den Frieden, den es mir zurückgelaſſen hatte. Seitdem kam es nicht wieder. Aber die letzte Nacht — ich hatte am Abend eine Schrift geleſen, aufrühreriſch gegen Gott und Gotteswort, und war im Zorn zu Bett gegangen — da war es nach Mit¬ ternacht, als ich wieder auffahre, und er ſteht vor mir, angethan wie damals, aber in Händen die Bi¬ bel, aufgeſchlagen und mit goldner Schrift geſchrie¬ ben. Er weiſ't mit dem Finger darauf, aber es ging ein Glanz aus von den Blättern, daß ich vergebens hinſtarre und vor Fülle des Lichts keine Zeile leſen kann. Ich näherte mich ihm, halbaufgerichtet; er ſtand, Mitleid und Liebe im Angeſicht, die immer mehr der Angſt wichen, je mehr ich zu leſen ſtrebte und es nicht vermochte. Da gingen von der Klar¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/57
Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/57>, abgerufen am 22.12.2024.