Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Geist, wenn er ihn auch an den Stoff bindet? Blei¬
ben nicht seine Wunder was sie sind, wenn sie auch
nur die Blüte der Natur sein sollten? Gereicht es
einem edeln Bildwerk zur Schande, daß es aus Stein
gehauen ist?"

"Du sprichst wie sie Alle; so berauscht ihr euch
in trüben Gleichnissen, so betäubt ihr euch mit klin¬
genden Worten, daß ihr den Ruf in euch überhört.
Und du bist gekommen, Pfingsten mit uns zu feiern?"

"Ich bin gekommen, weil ich euch liebe." --

Es entstand eine Stille zwischen ihnen. Mehr¬
mals öffnete der Alte den Mund und preßte wieder
stark die Lippen zusammen. Sie hörten Marlenens
Stimme unten im Haus, und Clemens trat horchend
vom Fenster zurück, an dem er traurig gestanden
hatte. "Es ist Marlene," sagte der Alte. "Hast du sie
denn vergessen? Tritt nicht, wenn deine frevelhafte
Genossenschaft sich in Aberwitz überbot, dem Geiste
seine freie Gotteskindschaft zu bestreiten, tritt dann
nicht das Bild deiner Jugendgespielin vor deine Seele?
Erinnert sie dich nicht daran, welche Wunder der
Geist wirken kann, wenn ihm die Sinne abgeschnitten
sind, allein aus sich, will sagen aus Gott, durch
Seine Gnade, in demüthiger Brust, die stark ist im
Glauben?"

Clemens drängte die Antwort zurück, die er wohl
bereit hatte. Sie vernahmen jetzt den zarten Schritt

Geiſt, wenn er ihn auch an den Stoff bindet? Blei¬
ben nicht ſeine Wunder was ſie ſind, wenn ſie auch
nur die Blüte der Natur ſein sollten? Gereicht es
einem edeln Bildwerk zur Schande, daß es aus Stein
gehauen iſt?“

„Du ſprichſt wie ſie Alle; ſo berauſcht ihr euch
in trüben Gleichniſſen, ſo betäubt ihr euch mit klin¬
genden Worten, daß ihr den Ruf in euch überhört.
Und du biſt gekommen, Pfingſten mit uns zu feiern?“

„Ich bin gekommen, weil ich euch liebe.“ —

Es entſtand eine Stille zwiſchen ihnen. Mehr¬
mals öffnete der Alte den Mund und preßte wieder
ſtark die Lippen zuſammen. Sie hörten Marlenens
Stimme unten im Haus, und Clemens trat horchend
vom Fenſter zurück, an dem er traurig geſtanden
hatte. „Es iſt Marlene,“ ſagte der Alte. „Haſt du ſie
denn vergeſſen? Tritt nicht, wenn deine frevelhafte
Genoſſenſchaft ſich in Aberwitz überbot, dem Geiſte
ſeine freie Gotteskindſchaft zu beſtreiten, tritt dann
nicht das Bild deiner Jugendgeſpielin vor deine Seele?
Erinnert ſie dich nicht daran, welche Wunder der
Geiſt wirken kann, wenn ihm die Sinne abgeſchnitten
ſind, allein aus ſich, will ſagen aus Gott, durch
Seine Gnade, in demüthiger Bruſt, die ſtark iſt im
Glauben?“

Clemens drängte die Antwort zurück, die er wohl
bereit hatte. Sie vernahmen jetzt den zarten Schritt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0060" n="48"/>
Gei&#x017F;t, wenn er ihn auch an den Stoff bindet? Blei¬<lb/>
ben nicht &#x017F;eine Wunder was &#x017F;ie &#x017F;ind, wenn &#x017F;ie auch<lb/>
nur die Blüte der Natur &#x017F;ein sollten? Gereicht es<lb/>
einem edeln Bildwerk zur Schande, daß es aus Stein<lb/>
gehauen i&#x017F;t?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Du &#x017F;prich&#x017F;t wie &#x017F;ie Alle; &#x017F;o berau&#x017F;cht ihr euch<lb/>
in trüben Gleichni&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o betäubt ihr euch mit klin¬<lb/>
genden Worten, daß ihr den Ruf in euch überhört.<lb/>
Und du bi&#x017F;t gekommen, Pfing&#x017F;ten mit uns zu feiern?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich bin gekommen, weil ich euch liebe.&#x201C; &#x2014;</p><lb/>
          <p>Es ent&#x017F;tand eine Stille zwi&#x017F;chen ihnen. Mehr¬<lb/>
mals öffnete der Alte den Mund und preßte wieder<lb/>
&#x017F;tark die Lippen zu&#x017F;ammen. Sie hörten Marlenens<lb/>
Stimme unten im Haus, und Clemens trat horchend<lb/>
vom Fen&#x017F;ter zurück, an dem er traurig ge&#x017F;tanden<lb/>
hatte. &#x201E;Es i&#x017F;t Marlene,&#x201C; &#x017F;agte der Alte. &#x201E;Ha&#x017F;t du <hi rendition="#g">&#x017F;ie</hi><lb/>
denn verge&#x017F;&#x017F;en? Tritt nicht, wenn deine frevelhafte<lb/>
Geno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;ich in Aberwitz überbot, dem Gei&#x017F;te<lb/>
&#x017F;eine freie Gotteskind&#x017F;chaft zu be&#x017F;treiten, tritt dann<lb/>
nicht das Bild deiner Jugendge&#x017F;pielin vor deine Seele?<lb/>
Erinnert &#x017F;ie dich nicht daran, welche Wunder der<lb/>
Gei&#x017F;t wirken kann, wenn ihm die Sinne abge&#x017F;chnitten<lb/>
&#x017F;ind, allein aus &#x017F;ich, will &#x017F;agen aus Gott, durch<lb/>
Seine Gnade, in demüthiger Bru&#x017F;t, die &#x017F;tark i&#x017F;t im<lb/>
Glauben?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Clemens drängte die Antwort zurück, die er wohl<lb/>
bereit hatte. Sie vernahmen jetzt den zarten Schritt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0060] Geiſt, wenn er ihn auch an den Stoff bindet? Blei¬ ben nicht ſeine Wunder was ſie ſind, wenn ſie auch nur die Blüte der Natur ſein sollten? Gereicht es einem edeln Bildwerk zur Schande, daß es aus Stein gehauen iſt?“ „Du ſprichſt wie ſie Alle; ſo berauſcht ihr euch in trüben Gleichniſſen, ſo betäubt ihr euch mit klin¬ genden Worten, daß ihr den Ruf in euch überhört. Und du biſt gekommen, Pfingſten mit uns zu feiern?“ „Ich bin gekommen, weil ich euch liebe.“ — Es entſtand eine Stille zwiſchen ihnen. Mehr¬ mals öffnete der Alte den Mund und preßte wieder ſtark die Lippen zuſammen. Sie hörten Marlenens Stimme unten im Haus, und Clemens trat horchend vom Fenſter zurück, an dem er traurig geſtanden hatte. „Es iſt Marlene,“ ſagte der Alte. „Haſt du ſie denn vergeſſen? Tritt nicht, wenn deine frevelhafte Genoſſenſchaft ſich in Aberwitz überbot, dem Geiſte ſeine freie Gotteskindſchaft zu beſtreiten, tritt dann nicht das Bild deiner Jugendgeſpielin vor deine Seele? Erinnert ſie dich nicht daran, welche Wunder der Geiſt wirken kann, wenn ihm die Sinne abgeſchnitten ſind, allein aus ſich, will ſagen aus Gott, durch Seine Gnade, in demüthiger Bruſt, die ſtark iſt im Glauben?“ Clemens drängte die Antwort zurück, die er wohl bereit hatte. Sie vernahmen jetzt den zarten Schritt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/60
Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/60>, abgerufen am 22.12.2024.