Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.gen. Aber er sah, wie auch sie zu leiden hatte und Und doch fühlte er eine Neigung zu ihr immer gen. Aber er ſah, wie auch ſie zu leiden hatte und Und doch fühlte er eine Neigung zu ihr immer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0064" n="52"/> gen. Aber er ſah, wie auch ſie zu leiden hatte und<lb/> wich ihr aus, wenn er ſie allein traf; denn er wußte,<lb/> daß ſie ihn befragt hätte, und ihr hätte er nichts<lb/> verſchweigen können. Es ſchien ein Schatten über<lb/> ihn zu fallen, ſobald er ihrer anſichtig wurde. War<lb/> es jenes kindiſche Verſprechen, dem er untreu ge¬<lb/> worden? War es der Glaube, daß ſie in dem Zwie¬<lb/> ſpalt der Meinungen, der ihm die Eltern entfremden<lb/> wollte, ſtillſchweigend auf ihre Seite trat?</p><lb/> <p>Und doch fühlte er eine Neigung zu ihr immer<lb/> unwiderſtehlicher in ſich, die er ſich nicht mehr ver¬<lb/> läugnen konnte und die er mühſam bekämpfte. Denn<lb/> er war erfüllt von ſeiner Wiſſenſchaft, von ſeiner Zu¬<lb/> kunft, und wehrte ſich mit dem Eigenſinn innerer<lb/> Geſundheit gegen Alles, was ſich hinderlich an ſeine<lb/> Schritte hängen wollte. Ein Reiſender will ich ſein,<lb/> ein Fußreiſender, ſagte er ſich oft. Ich muß ein<lb/> leichtes Bündel haben. — Es wurde ihm wunderlich<lb/> beklemmt ums Herz, wenn er dem Gedanken nach¬<lb/> hing, ſich an ein Weib zu feſſeln, das einen Theil<lb/> ſeines Lebens für ſich verlangte. Und ein <hi rendition="#g">blindes</hi><lb/> Weib, das er ſich ſcheuen mußte je zu verlaſſen! Hier<lb/> auf dem Dorf, wo Alles ſeinen einfachen Zuſchnitt<lb/> hatte, den ſie ſeit Kindesbeinen kannte, hier war ſie<lb/> wohl vor verwickelten Verhältniſſen geborgen, die in<lb/> der Stadt nicht ausbleiben konnten. So beredete er<lb/> ſich, daß er auch ihr ein Unrecht thue, wenn er ſich<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [52/0064]
gen. Aber er ſah, wie auch ſie zu leiden hatte und
wich ihr aus, wenn er ſie allein traf; denn er wußte,
daß ſie ihn befragt hätte, und ihr hätte er nichts
verſchweigen können. Es ſchien ein Schatten über
ihn zu fallen, ſobald er ihrer anſichtig wurde. War
es jenes kindiſche Verſprechen, dem er untreu ge¬
worden? War es der Glaube, daß ſie in dem Zwie¬
ſpalt der Meinungen, der ihm die Eltern entfremden
wollte, ſtillſchweigend auf ihre Seite trat?
Und doch fühlte er eine Neigung zu ihr immer
unwiderſtehlicher in ſich, die er ſich nicht mehr ver¬
läugnen konnte und die er mühſam bekämpfte. Denn
er war erfüllt von ſeiner Wiſſenſchaft, von ſeiner Zu¬
kunft, und wehrte ſich mit dem Eigenſinn innerer
Geſundheit gegen Alles, was ſich hinderlich an ſeine
Schritte hängen wollte. Ein Reiſender will ich ſein,
ein Fußreiſender, ſagte er ſich oft. Ich muß ein
leichtes Bündel haben. — Es wurde ihm wunderlich
beklemmt ums Herz, wenn er dem Gedanken nach¬
hing, ſich an ein Weib zu feſſeln, das einen Theil
ſeines Lebens für ſich verlangte. Und ein blindes
Weib, das er ſich ſcheuen mußte je zu verlaſſen! Hier
auf dem Dorf, wo Alles ſeinen einfachen Zuſchnitt
hatte, den ſie ſeit Kindesbeinen kannte, hier war ſie
wohl vor verwickelten Verhältniſſen geborgen, die in
der Stadt nicht ausbleiben konnten. So beredete er
ſich, daß er auch ihr ein Unrecht thue, wenn er ſich
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