Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.und weder sie noch ich dachten mehr daran, was dahinter lag und was noch kommen sollte. Das fiel uns Alles zuerst wieder ein, als unser Geld auf die Neige gegangen war; es mocht' eine Woche inzwischen verstrichen sein, und von der Schweiz waren wir noch weit, da wir keine Straße einhielten, sondern gingen, wo es uns lustig schien. Am ersten Abend, als wir uns mit leeren Taschen nach einem Nachtlager umsahen und wollten eben in einen Heustadel kriechen, fiel mir ein großer Einödhof in die Augen, und ich dacht': da versuchst noch einmal dein Heil. Wir fanden da auch richtig ein Unterkommen, aber aus der Einen Nacht wurde ein halbes Jahr. Denn der Hof gehörte einer Wittfrau zu, die dort mit ein paar Knechten und Mägden haus'te, und den Oberknecht hatte sie eben heirathen wollen, da hatte er sich beim Holzmachen verfallen, und die Bäuerin trauerte um ihn, wie um ihren ersten Mann. Als ich ihr nun erzählte, ich hätte flüchtig gehen müssen, weil ich einen Welschen erschlagen, und meine Schwester da -- denn dafür gab ich sie aus, weil die Bäuerin sich mit Eheleuten wohl nicht beladen hätte -- die Moidi also hätte mich nicht allein ziehen lassen wollen, und nun seien wir ohne einen Kreuzer, da bot sie mir an, bei ihr in Dienst zu treten, und für meine Schwester gebe es auch Arbeit. Das waren wir natürlich zufrieden, und nur die Moidi machte mir hernach Vorwürfe, daß ich sie nicht für mein und weder sie noch ich dachten mehr daran, was dahinter lag und was noch kommen sollte. Das fiel uns Alles zuerst wieder ein, als unser Geld auf die Neige gegangen war; es mocht' eine Woche inzwischen verstrichen sein, und von der Schweiz waren wir noch weit, da wir keine Straße einhielten, sondern gingen, wo es uns lustig schien. Am ersten Abend, als wir uns mit leeren Taschen nach einem Nachtlager umsahen und wollten eben in einen Heustadel kriechen, fiel mir ein großer Einödhof in die Augen, und ich dacht': da versuchst noch einmal dein Heil. Wir fanden da auch richtig ein Unterkommen, aber aus der Einen Nacht wurde ein halbes Jahr. Denn der Hof gehörte einer Wittfrau zu, die dort mit ein paar Knechten und Mägden haus'te, und den Oberknecht hatte sie eben heirathen wollen, da hatte er sich beim Holzmachen verfallen, und die Bäuerin trauerte um ihn, wie um ihren ersten Mann. Als ich ihr nun erzählte, ich hätte flüchtig gehen müssen, weil ich einen Welschen erschlagen, und meine Schwester da — denn dafür gab ich sie aus, weil die Bäuerin sich mit Eheleuten wohl nicht beladen hätte — die Moidi also hätte mich nicht allein ziehen lassen wollen, und nun seien wir ohne einen Kreuzer, da bot sie mir an, bei ihr in Dienst zu treten, und für meine Schwester gebe es auch Arbeit. Das waren wir natürlich zufrieden, und nur die Moidi machte mir hernach Vorwürfe, daß ich sie nicht für mein <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0116"/> und weder sie noch ich dachten mehr daran, was dahinter lag und was noch kommen sollte.</p><lb/> <p>Das fiel uns Alles zuerst wieder ein, als unser Geld auf die Neige gegangen war; es mocht' eine Woche inzwischen verstrichen sein, und von der Schweiz waren wir noch weit, da wir keine Straße einhielten, sondern gingen, wo es uns lustig schien. Am ersten Abend, als wir uns mit leeren Taschen nach einem Nachtlager umsahen und wollten eben in einen Heustadel kriechen, fiel mir ein großer Einödhof in die Augen, und ich dacht': da versuchst noch einmal dein Heil. Wir fanden da auch richtig ein Unterkommen, aber aus der Einen Nacht wurde ein halbes Jahr. Denn der Hof gehörte einer Wittfrau zu, die dort mit ein paar Knechten und Mägden haus'te, und den Oberknecht hatte sie eben heirathen wollen, da hatte er sich beim Holzmachen verfallen, und die Bäuerin trauerte um ihn, wie um ihren ersten Mann. Als ich ihr nun erzählte, ich hätte flüchtig gehen müssen, weil ich einen Welschen erschlagen, und meine Schwester da — denn dafür gab ich sie aus, weil die Bäuerin sich mit Eheleuten wohl nicht beladen hätte — die Moidi also hätte mich nicht allein ziehen lassen wollen, und nun seien wir ohne einen Kreuzer, da bot sie mir an, bei ihr in Dienst zu treten, und für meine Schwester gebe es auch Arbeit. Das waren wir natürlich zufrieden, und nur die Moidi machte mir hernach Vorwürfe, daß ich sie nicht für mein<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0116]
und weder sie noch ich dachten mehr daran, was dahinter lag und was noch kommen sollte.
Das fiel uns Alles zuerst wieder ein, als unser Geld auf die Neige gegangen war; es mocht' eine Woche inzwischen verstrichen sein, und von der Schweiz waren wir noch weit, da wir keine Straße einhielten, sondern gingen, wo es uns lustig schien. Am ersten Abend, als wir uns mit leeren Taschen nach einem Nachtlager umsahen und wollten eben in einen Heustadel kriechen, fiel mir ein großer Einödhof in die Augen, und ich dacht': da versuchst noch einmal dein Heil. Wir fanden da auch richtig ein Unterkommen, aber aus der Einen Nacht wurde ein halbes Jahr. Denn der Hof gehörte einer Wittfrau zu, die dort mit ein paar Knechten und Mägden haus'te, und den Oberknecht hatte sie eben heirathen wollen, da hatte er sich beim Holzmachen verfallen, und die Bäuerin trauerte um ihn, wie um ihren ersten Mann. Als ich ihr nun erzählte, ich hätte flüchtig gehen müssen, weil ich einen Welschen erschlagen, und meine Schwester da — denn dafür gab ich sie aus, weil die Bäuerin sich mit Eheleuten wohl nicht beladen hätte — die Moidi also hätte mich nicht allein ziehen lassen wollen, und nun seien wir ohne einen Kreuzer, da bot sie mir an, bei ihr in Dienst zu treten, und für meine Schwester gebe es auch Arbeit. Das waren wir natürlich zufrieden, und nur die Moidi machte mir hernach Vorwürfe, daß ich sie nicht für mein
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