Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.erschien mit eilfertigem Keuchen und trug eine Maßflasche, mit einem zartgelben Wein gefüllt, wie einen Säugling im Arm, die Magd hinter ihm mit reinen Gläsern. Siehe, sagte er zu Andree, der zerstreut und ungeduldig darein schaute, dieses ist der wahre Seelentrost und Mitstreiter, und ehe wir Andere trösten, geziemt es, unser eigenes Gemüth zu kräftigen. Trink', armer Sohn; du wirst ihn noch wiederkennen. Er ist herber geworden, seit den zehn Jahren, aber reifer und gesetzter; da schau, er wirst keine Bläschen mehr. Und mit heiterem Gesicht hielt er das reine Gold gegen das Licht, ehe er trank, und stieß mit seinem bekümmerten Pflegling herzlich an. Ich hoff', es soll noch gut werden, sagte er, denn schon übte die Nähe des edlen Trunkes ihre ermuthigende Wirkung. Gaudete in Domino semper, stehet geschrieben, und darum trink, mein Sohn, und hernach wollen wir auch der armen Büßerin ein Fläschlein füllen, denn sie wird es brauchen können. Nun sprachen sie kein Wort mehr zusammen, sondern der Zehnuhrmesser ging immer auf und ab, wie ein General in seinem Zelt, der über den Schlachtplan nachdenkt, und trank dazwischen in großen Zügen und setzte das Glas jedesmal mit einem herzhafteren Ruck wieder auf den Tisch. Als die große Flasche halb leer war, nahm er mit einem raschen Griff die Geige von der Wand und fing an, erschien mit eilfertigem Keuchen und trug eine Maßflasche, mit einem zartgelben Wein gefüllt, wie einen Säugling im Arm, die Magd hinter ihm mit reinen Gläsern. Siehe, sagte er zu Andree, der zerstreut und ungeduldig darein schaute, dieses ist der wahre Seelentrost und Mitstreiter, und ehe wir Andere trösten, geziemt es, unser eigenes Gemüth zu kräftigen. Trink', armer Sohn; du wirst ihn noch wiederkennen. Er ist herber geworden, seit den zehn Jahren, aber reifer und gesetzter; da schau, er wirst keine Bläschen mehr. Und mit heiterem Gesicht hielt er das reine Gold gegen das Licht, ehe er trank, und stieß mit seinem bekümmerten Pflegling herzlich an. Ich hoff', es soll noch gut werden, sagte er, denn schon übte die Nähe des edlen Trunkes ihre ermuthigende Wirkung. Gaudete in Domino semper, stehet geschrieben, und darum trink, mein Sohn, und hernach wollen wir auch der armen Büßerin ein Fläschlein füllen, denn sie wird es brauchen können. Nun sprachen sie kein Wort mehr zusammen, sondern der Zehnuhrmesser ging immer auf und ab, wie ein General in seinem Zelt, der über den Schlachtplan nachdenkt, und trank dazwischen in großen Zügen und setzte das Glas jedesmal mit einem herzhafteren Ruck wieder auf den Tisch. Als die große Flasche halb leer war, nahm er mit einem raschen Griff die Geige von der Wand und fing an, <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0121"/> erschien mit eilfertigem Keuchen und trug eine Maßflasche, mit einem zartgelben Wein gefüllt, wie einen Säugling im Arm, die Magd hinter ihm mit reinen Gläsern. Siehe, sagte er zu Andree, der zerstreut und ungeduldig darein schaute, dieses ist der wahre Seelentrost und Mitstreiter, und ehe wir Andere trösten, geziemt es, unser eigenes Gemüth zu kräftigen. Trink', armer Sohn; du wirst ihn noch wiederkennen. Er ist herber geworden, seit den zehn Jahren, aber reifer und gesetzter; da schau, er wirst keine Bläschen mehr.</p><lb/> <p>Und mit heiterem Gesicht hielt er das reine Gold gegen das Licht, ehe er trank, und stieß mit seinem bekümmerten Pflegling herzlich an. Ich hoff', es soll noch gut werden, sagte er, denn schon übte die Nähe des edlen Trunkes ihre ermuthigende Wirkung. Gaudete in Domino semper, stehet geschrieben, und darum trink, mein Sohn, und hernach wollen wir auch der armen Büßerin ein Fläschlein füllen, denn sie wird es brauchen können.</p><lb/> <p>Nun sprachen sie kein Wort mehr zusammen, sondern der Zehnuhrmesser ging immer auf und ab, wie ein General in seinem Zelt, der über den Schlachtplan nachdenkt, und trank dazwischen in großen Zügen und setzte das Glas jedesmal mit einem herzhafteren Ruck wieder auf den Tisch. Als die große Flasche halb leer war, nahm er mit einem raschen Griff die Geige von der Wand und fing an,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0121]
erschien mit eilfertigem Keuchen und trug eine Maßflasche, mit einem zartgelben Wein gefüllt, wie einen Säugling im Arm, die Magd hinter ihm mit reinen Gläsern. Siehe, sagte er zu Andree, der zerstreut und ungeduldig darein schaute, dieses ist der wahre Seelentrost und Mitstreiter, und ehe wir Andere trösten, geziemt es, unser eigenes Gemüth zu kräftigen. Trink', armer Sohn; du wirst ihn noch wiederkennen. Er ist herber geworden, seit den zehn Jahren, aber reifer und gesetzter; da schau, er wirst keine Bläschen mehr.
Und mit heiterem Gesicht hielt er das reine Gold gegen das Licht, ehe er trank, und stieß mit seinem bekümmerten Pflegling herzlich an. Ich hoff', es soll noch gut werden, sagte er, denn schon übte die Nähe des edlen Trunkes ihre ermuthigende Wirkung. Gaudete in Domino semper, stehet geschrieben, und darum trink, mein Sohn, und hernach wollen wir auch der armen Büßerin ein Fläschlein füllen, denn sie wird es brauchen können.
Nun sprachen sie kein Wort mehr zusammen, sondern der Zehnuhrmesser ging immer auf und ab, wie ein General in seinem Zelt, der über den Schlachtplan nachdenkt, und trank dazwischen in großen Zügen und setzte das Glas jedesmal mit einem herzhafteren Ruck wieder auf den Tisch. Als die große Flasche halb leer war, nahm er mit einem raschen Griff die Geige von der Wand und fing an,
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