Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.immer auf und ab wandelnd, eine schöne alte italienische Cantate, zu streichen, mit vielen krausen Fiorituren verbrämt, ein Stück, das er immer an wichtigen und bedeutsamen Tagen zu spielen pflegte, auch des Katers Leibstück, der mit freudigem Schnurren auf den Tisch sprang, um das Licht herumwandelte und mit den großen grünen Augen den Andree ansah, als wollte er ihn auffordern, ebenfalls guter Dinge zu sein. Dem aber brannte vor Ungeduld der Boden unter den Füßen, und nur seine Ehrfurcht und das eigene Schuldbewußtsein hielten ihn ab, den geistlichen Herrn in seinem Concert zu unterbrechen und daran zu erinnern, daß die Moidi die Minuten zähle, bis er ihr Trost brächte. Endlich aber legte der geistliche Herr die Geige weg, trocknete sich mit dem Aermel seines Hauskleides die Stirn und fuhr dann rasch in sein schwarzes Gewand. Die Magd kam, goß den Rest des Terlaners in ein Fläschchen, das Andree einstecken mußte, brachte dem Herrn seinen Hut und leuchtete ihnen die Treppe hinunter. In der Laubengasse war es indessen stiller geworden, nur aus den Schenken hörte man das Singen und Lachen der welschen Maurer und Tagelöhner und hie und da Streit und heftige Reden, und die Wächter saßen bei den offenen Buden und rüsteten sich auf die Nacht, die kalt zu werden versprach. Als sie auf den Platz kamen, wo die Kirche steht, blieb der Zehnuhrmesser stehen und immer auf und ab wandelnd, eine schöne alte italienische Cantate, zu streichen, mit vielen krausen Fiorituren verbrämt, ein Stück, das er immer an wichtigen und bedeutsamen Tagen zu spielen pflegte, auch des Katers Leibstück, der mit freudigem Schnurren auf den Tisch sprang, um das Licht herumwandelte und mit den großen grünen Augen den Andree ansah, als wollte er ihn auffordern, ebenfalls guter Dinge zu sein. Dem aber brannte vor Ungeduld der Boden unter den Füßen, und nur seine Ehrfurcht und das eigene Schuldbewußtsein hielten ihn ab, den geistlichen Herrn in seinem Concert zu unterbrechen und daran zu erinnern, daß die Moidi die Minuten zähle, bis er ihr Trost brächte. Endlich aber legte der geistliche Herr die Geige weg, trocknete sich mit dem Aermel seines Hauskleides die Stirn und fuhr dann rasch in sein schwarzes Gewand. Die Magd kam, goß den Rest des Terlaners in ein Fläschchen, das Andree einstecken mußte, brachte dem Herrn seinen Hut und leuchtete ihnen die Treppe hinunter. In der Laubengasse war es indessen stiller geworden, nur aus den Schenken hörte man das Singen und Lachen der welschen Maurer und Tagelöhner und hie und da Streit und heftige Reden, und die Wächter saßen bei den offenen Buden und rüsteten sich auf die Nacht, die kalt zu werden versprach. Als sie auf den Platz kamen, wo die Kirche steht, blieb der Zehnuhrmesser stehen und <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0122"/> immer auf und ab wandelnd, eine schöne alte italienische Cantate, zu streichen, mit vielen krausen Fiorituren verbrämt, ein Stück, das er immer an wichtigen und bedeutsamen Tagen zu spielen pflegte, auch des Katers Leibstück, der mit freudigem Schnurren auf den Tisch sprang, um das Licht herumwandelte und mit den großen grünen Augen den Andree ansah, als wollte er ihn auffordern, ebenfalls guter Dinge zu sein. Dem aber brannte vor Ungeduld der Boden unter den Füßen, und nur seine Ehrfurcht und das eigene Schuldbewußtsein hielten ihn ab, den geistlichen Herrn in seinem Concert zu unterbrechen und daran zu erinnern, daß die Moidi die Minuten zähle, bis er ihr Trost brächte.</p><lb/> <p>Endlich aber legte der geistliche Herr die Geige weg, trocknete sich mit dem Aermel seines Hauskleides die Stirn und fuhr dann rasch in sein schwarzes Gewand. Die Magd kam, goß den Rest des Terlaners in ein Fläschchen, das Andree einstecken mußte, brachte dem Herrn seinen Hut und leuchtete ihnen die Treppe hinunter. In der Laubengasse war es indessen stiller geworden, nur aus den Schenken hörte man das Singen und Lachen der welschen Maurer und Tagelöhner und hie und da Streit und heftige Reden, und die Wächter saßen bei den offenen Buden und rüsteten sich auf die Nacht, die kalt zu werden versprach. Als sie auf den Platz kamen, wo die Kirche steht, blieb der Zehnuhrmesser stehen und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0122]
immer auf und ab wandelnd, eine schöne alte italienische Cantate, zu streichen, mit vielen krausen Fiorituren verbrämt, ein Stück, das er immer an wichtigen und bedeutsamen Tagen zu spielen pflegte, auch des Katers Leibstück, der mit freudigem Schnurren auf den Tisch sprang, um das Licht herumwandelte und mit den großen grünen Augen den Andree ansah, als wollte er ihn auffordern, ebenfalls guter Dinge zu sein. Dem aber brannte vor Ungeduld der Boden unter den Füßen, und nur seine Ehrfurcht und das eigene Schuldbewußtsein hielten ihn ab, den geistlichen Herrn in seinem Concert zu unterbrechen und daran zu erinnern, daß die Moidi die Minuten zähle, bis er ihr Trost brächte.
Endlich aber legte der geistliche Herr die Geige weg, trocknete sich mit dem Aermel seines Hauskleides die Stirn und fuhr dann rasch in sein schwarzes Gewand. Die Magd kam, goß den Rest des Terlaners in ein Fläschchen, das Andree einstecken mußte, brachte dem Herrn seinen Hut und leuchtete ihnen die Treppe hinunter. In der Laubengasse war es indessen stiller geworden, nur aus den Schenken hörte man das Singen und Lachen der welschen Maurer und Tagelöhner und hie und da Streit und heftige Reden, und die Wächter saßen bei den offenen Buden und rüsteten sich auf die Nacht, die kalt zu werden versprach. Als sie auf den Platz kamen, wo die Kirche steht, blieb der Zehnuhrmesser stehen und
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Zitationshilfe: | Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/122>, abgerufen am 16.02.2025. |