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Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Moidi, sagte der geistliche Herr mit fester Stimme, du bist ein unwissendes Ding, und was du da schwatzest, ist Alles eine Vorspiegelung des bösen Feindes, um dich in noch größere Sünde zu verstricken. Ist es dir nicht genug, wenn ich dir sage, ich weiß, wer des Andree Mutter und Vater sind, und ich darf's nur nicht sagen, weil es mir von Denen verboten ist, denen ich Gehorsam schuldig bin?

Sie sah plötzlich groß auf zu ihm, ohne ein Wort über die Lippen zu bringen. Aber in ihrem Gesicht lag ein so angstvolles Flehen, daß er tief davon erschüttert wurde und sich abwenden mußte, um sich wieder zu fassen. Da hörte er, wie sie leise höhnisch vor sich hin lachte. Seht Ihr wohl, sagte sie, Ihr könnt mir nicht dabei ins Gesicht sehn, es ist Alles erlogen, nur damit ich wieder froh werden soll; der Andree wird Euch darum gebeten haben, es geht ihm so zu Herzen, aber wer kann uns helfen? Wenn Ihr wüßtet, wer seine Eltern sind, würdet Ihr wohl zu ihnen gehn und ihnen davon sagen, daß man mit Fingern auf die Moidi und den Andree zeigt, weil die Leute sagen, sie seien Bruder und Schwester und hätten doch ein Kind. Aber Ihr könnt die Eltern nicht rufen, denn wo sind sie? Die Mutter kenne ich wohl, sie hat mir's im Traum gesagt, mich macht Niemand irre, ich weiß es besser! ----

Da widerstand er nicht länger. Höre mich an, sagte er und trat dicht an ihr Bette. Ich kann deine armseligen Reden nicht mehr hören und will dir sagen,

Moidi, sagte der geistliche Herr mit fester Stimme, du bist ein unwissendes Ding, und was du da schwatzest, ist Alles eine Vorspiegelung des bösen Feindes, um dich in noch größere Sünde zu verstricken. Ist es dir nicht genug, wenn ich dir sage, ich weiß, wer des Andree Mutter und Vater sind, und ich darf's nur nicht sagen, weil es mir von Denen verboten ist, denen ich Gehorsam schuldig bin?

Sie sah plötzlich groß auf zu ihm, ohne ein Wort über die Lippen zu bringen. Aber in ihrem Gesicht lag ein so angstvolles Flehen, daß er tief davon erschüttert wurde und sich abwenden mußte, um sich wieder zu fassen. Da hörte er, wie sie leise höhnisch vor sich hin lachte. Seht Ihr wohl, sagte sie, Ihr könnt mir nicht dabei ins Gesicht sehn, es ist Alles erlogen, nur damit ich wieder froh werden soll; der Andree wird Euch darum gebeten haben, es geht ihm so zu Herzen, aber wer kann uns helfen? Wenn Ihr wüßtet, wer seine Eltern sind, würdet Ihr wohl zu ihnen gehn und ihnen davon sagen, daß man mit Fingern auf die Moidi und den Andree zeigt, weil die Leute sagen, sie seien Bruder und Schwester und hätten doch ein Kind. Aber Ihr könnt die Eltern nicht rufen, denn wo sind sie? Die Mutter kenne ich wohl, sie hat mir's im Traum gesagt, mich macht Niemand irre, ich weiß es besser! ——

Da widerstand er nicht länger. Höre mich an, sagte er und trat dicht an ihr Bette. Ich kann deine armseligen Reden nicht mehr hören und will dir sagen,

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[0127] Moidi, sagte der geistliche Herr mit fester Stimme, du bist ein unwissendes Ding, und was du da schwatzest, ist Alles eine Vorspiegelung des bösen Feindes, um dich in noch größere Sünde zu verstricken. Ist es dir nicht genug, wenn ich dir sage, ich weiß, wer des Andree Mutter und Vater sind, und ich darf's nur nicht sagen, weil es mir von Denen verboten ist, denen ich Gehorsam schuldig bin? Sie sah plötzlich groß auf zu ihm, ohne ein Wort über die Lippen zu bringen. Aber in ihrem Gesicht lag ein so angstvolles Flehen, daß er tief davon erschüttert wurde und sich abwenden mußte, um sich wieder zu fassen. Da hörte er, wie sie leise höhnisch vor sich hin lachte. Seht Ihr wohl, sagte sie, Ihr könnt mir nicht dabei ins Gesicht sehn, es ist Alles erlogen, nur damit ich wieder froh werden soll; der Andree wird Euch darum gebeten haben, es geht ihm so zu Herzen, aber wer kann uns helfen? Wenn Ihr wüßtet, wer seine Eltern sind, würdet Ihr wohl zu ihnen gehn und ihnen davon sagen, daß man mit Fingern auf die Moidi und den Andree zeigt, weil die Leute sagen, sie seien Bruder und Schwester und hätten doch ein Kind. Aber Ihr könnt die Eltern nicht rufen, denn wo sind sie? Die Mutter kenne ich wohl, sie hat mir's im Traum gesagt, mich macht Niemand irre, ich weiß es besser! —— Da widerstand er nicht länger. Höre mich an, sagte er und trat dicht an ihr Bette. Ich kann deine armseligen Reden nicht mehr hören und will dir sagen,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:27:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:27:07Z)

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/127>, abgerufen am 21.11.2024.