Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

was ich weiß, und was so wahr ist, wie daß ein barmherziger Gott im Himmel wohnt. Aber gelobe mir erst bei deiner armen Seele, daß du nie einem Menschen, am wenigsten dem Andree, das wiedersagen willst, was ich dir gegen meine Pflicht und kirchlichen Gehorsam vertrauen werde, weil dein Geist schwer verstört ist und es noch schlimmer werden möchte, wofern ich schwiege. Willst du mir auf das heilige Sacrament versprechen, es für dich zu behalten?

Sie nickte dreimal mit aufmerksamer Miene, in der ein schwacher Schimmer von Hoffnung aufdämmerte. Siehe, fuhr er fort, der Andree bedarf's nicht; er hat keine Zweifel und Gewissensqual und wird dich ohne Furcht in die Kirche führen. Und ich denke wohl auch, daß dann seine Mutter mit unter den Anderen sitzen und im Stillen den Segen mitbeten wird, aber nicht der abgeschiedene Geist der Maria Ingram, deiner armen Mutter, sondern -- und er neigte seinen Mund dicht an ihr Ohr -- die Tante der Rosine, die Anna Hirzer, die ihn aus der Taufe gehoben, die wird mitbeten und wahrlich keinen Einspruch thun.

Er hatte die Worte mit hastigem Flüstern herausgestoßen und fuhr, wie von seiner eigenen Rede erschreckt, in die Höhe, ob kein Dritter sie gehört habe. Das junge Weib saß still und starr; es war, als hätte die Enthüllung dieses Geheimnisses keinen Eindruck auf ihre verstörte Seele gemacht.

Nun du so viel weißt, meine Tochter, fing der

was ich weiß, und was so wahr ist, wie daß ein barmherziger Gott im Himmel wohnt. Aber gelobe mir erst bei deiner armen Seele, daß du nie einem Menschen, am wenigsten dem Andree, das wiedersagen willst, was ich dir gegen meine Pflicht und kirchlichen Gehorsam vertrauen werde, weil dein Geist schwer verstört ist und es noch schlimmer werden möchte, wofern ich schwiege. Willst du mir auf das heilige Sacrament versprechen, es für dich zu behalten?

Sie nickte dreimal mit aufmerksamer Miene, in der ein schwacher Schimmer von Hoffnung aufdämmerte. Siehe, fuhr er fort, der Andree bedarf's nicht; er hat keine Zweifel und Gewissensqual und wird dich ohne Furcht in die Kirche führen. Und ich denke wohl auch, daß dann seine Mutter mit unter den Anderen sitzen und im Stillen den Segen mitbeten wird, aber nicht der abgeschiedene Geist der Maria Ingram, deiner armen Mutter, sondern — und er neigte seinen Mund dicht an ihr Ohr — die Tante der Rosine, die Anna Hirzer, die ihn aus der Taufe gehoben, die wird mitbeten und wahrlich keinen Einspruch thun.

Er hatte die Worte mit hastigem Flüstern herausgestoßen und fuhr, wie von seiner eigenen Rede erschreckt, in die Höhe, ob kein Dritter sie gehört habe. Das junge Weib saß still und starr; es war, als hätte die Enthüllung dieses Geheimnisses keinen Eindruck auf ihre verstörte Seele gemacht.

Nun du so viel weißt, meine Tochter, fing der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0128"/>
was ich weiß, und was so wahr ist,     wie daß ein barmherziger Gott im Himmel wohnt. Aber gelobe mir erst bei deiner armen Seele, daß     du nie einem Menschen, am wenigsten dem Andree, das wiedersagen willst, was ich dir gegen meine     Pflicht und kirchlichen Gehorsam vertrauen werde, weil dein Geist schwer verstört ist und es     noch schlimmer werden möchte, wofern ich schwiege. Willst du mir auf das heilige Sacrament     versprechen, es für dich zu behalten?</p><lb/>
        <p>Sie nickte dreimal mit aufmerksamer Miene, in der ein schwacher Schimmer von Hoffnung     aufdämmerte. Siehe, fuhr er fort, der Andree bedarf's nicht; er hat keine Zweifel und     Gewissensqual und wird dich ohne Furcht in die Kirche führen. Und ich denke wohl auch, daß dann     seine Mutter mit unter den Anderen sitzen und im Stillen den Segen mitbeten wird, aber nicht der     abgeschiedene Geist der Maria Ingram, deiner armen Mutter, sondern &#x2014; und er neigte seinen Mund     dicht an ihr Ohr &#x2014; die Tante der Rosine, die Anna Hirzer, die ihn aus der Taufe gehoben, die     wird mitbeten und wahrlich keinen Einspruch thun.</p><lb/>
        <p>Er hatte die Worte mit hastigem Flüstern herausgestoßen und fuhr, wie von seiner eigenen Rede     erschreckt, in die Höhe, ob kein Dritter sie gehört habe. Das junge Weib saß still und starr; es     war, als hätte die Enthüllung dieses Geheimnisses keinen Eindruck auf ihre verstörte Seele     gemacht.</p><lb/>
        <p>Nun du so viel weißt, meine Tochter, fing der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0128] was ich weiß, und was so wahr ist, wie daß ein barmherziger Gott im Himmel wohnt. Aber gelobe mir erst bei deiner armen Seele, daß du nie einem Menschen, am wenigsten dem Andree, das wiedersagen willst, was ich dir gegen meine Pflicht und kirchlichen Gehorsam vertrauen werde, weil dein Geist schwer verstört ist und es noch schlimmer werden möchte, wofern ich schwiege. Willst du mir auf das heilige Sacrament versprechen, es für dich zu behalten? Sie nickte dreimal mit aufmerksamer Miene, in der ein schwacher Schimmer von Hoffnung aufdämmerte. Siehe, fuhr er fort, der Andree bedarf's nicht; er hat keine Zweifel und Gewissensqual und wird dich ohne Furcht in die Kirche führen. Und ich denke wohl auch, daß dann seine Mutter mit unter den Anderen sitzen und im Stillen den Segen mitbeten wird, aber nicht der abgeschiedene Geist der Maria Ingram, deiner armen Mutter, sondern — und er neigte seinen Mund dicht an ihr Ohr — die Tante der Rosine, die Anna Hirzer, die ihn aus der Taufe gehoben, die wird mitbeten und wahrlich keinen Einspruch thun. Er hatte die Worte mit hastigem Flüstern herausgestoßen und fuhr, wie von seiner eigenen Rede erschreckt, in die Höhe, ob kein Dritter sie gehört habe. Das junge Weib saß still und starr; es war, als hätte die Enthüllung dieses Geheimnisses keinen Eindruck auf ihre verstörte Seele gemacht. Nun du so viel weißt, meine Tochter, fing der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:27:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:27:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/128
Zitationshilfe: Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/128>, abgerufen am 21.11.2024.