Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Und als sie merkte, daß ihr Bitten und Beten nichts über ihn vermochte, ist sie zu ihrem Beichtvater gegangen, der hat ihr gerathen, ihr Herz Gott zum Opfer zu bringen und vor dem Versucher zu fliehen. Und weil sie ein frommes und heiliges Gemüth hatte, ist sie auch wirklich von Innsbruck weg ganz heimlich, daß es ihr Bräutigam erst erfuhr, als sie schon wieder auf Goyen angekommen war, bei ihrem Bruder. Der hat sie sehr gelobt, daß sie lieber geflohen war, als das schwere Aergerniß zu geben; denn du weißt, daß die Hirzer's allezeit eifrig gewesen sind für unsern heiligen katholischen Glauben, und der Joseph pflegte zu sagen, lieber den rechten Arm wollt' er missen, als ein Glied seiner Familie verloren geben an die Ketzer und Widerchristen. Die Anna aber hatte sich doch zu viel zugetraut, denn schon nach ein paar Tagen glich sie sich selber nicht mehr und ging wie ein Schatten herum, nahm auch kaum einen Mund voll Speise, daß ich dachte, sie wird ausgehn wie eine Lampe, der man kein Oel nachschüttet. Sie hing schon allzusehr an dem Fremden, und Gott weiß, was ich drum gegeben hätte, wenn sich die armen Leutchen hätten ehelich verbinden können. Ich hab' auch mit dem Herrn Decan damals viel verhandelt, aber zuletzt zerschlug sich's immer wieder, weil die Kinder nicht auch verdammt sein sollten, das hätte auch die Anna nicht übers Herz gebracht. Und so vergingen sechs oder sieben Tage; da kommt der Joseph eines Morgens zu mir, feuerroth vor Wuth und Aerger, und Und als sie merkte, daß ihr Bitten und Beten nichts über ihn vermochte, ist sie zu ihrem Beichtvater gegangen, der hat ihr gerathen, ihr Herz Gott zum Opfer zu bringen und vor dem Versucher zu fliehen. Und weil sie ein frommes und heiliges Gemüth hatte, ist sie auch wirklich von Innsbruck weg ganz heimlich, daß es ihr Bräutigam erst erfuhr, als sie schon wieder auf Goyen angekommen war, bei ihrem Bruder. Der hat sie sehr gelobt, daß sie lieber geflohen war, als das schwere Aergerniß zu geben; denn du weißt, daß die Hirzer's allezeit eifrig gewesen sind für unsern heiligen katholischen Glauben, und der Joseph pflegte zu sagen, lieber den rechten Arm wollt' er missen, als ein Glied seiner Familie verloren geben an die Ketzer und Widerchristen. Die Anna aber hatte sich doch zu viel zugetraut, denn schon nach ein paar Tagen glich sie sich selber nicht mehr und ging wie ein Schatten herum, nahm auch kaum einen Mund voll Speise, daß ich dachte, sie wird ausgehn wie eine Lampe, der man kein Oel nachschüttet. Sie hing schon allzusehr an dem Fremden, und Gott weiß, was ich drum gegeben hätte, wenn sich die armen Leutchen hätten ehelich verbinden können. Ich hab' auch mit dem Herrn Decan damals viel verhandelt, aber zuletzt zerschlug sich's immer wieder, weil die Kinder nicht auch verdammt sein sollten, das hätte auch die Anna nicht übers Herz gebracht. Und so vergingen sechs oder sieben Tage; da kommt der Joseph eines Morgens zu mir, feuerroth vor Wuth und Aerger, und <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0130"/> Und als sie merkte, daß ihr Bitten und Beten nichts über ihn vermochte, ist sie zu ihrem Beichtvater gegangen, der hat ihr gerathen, ihr Herz Gott zum Opfer zu bringen und vor dem Versucher zu fliehen. Und weil sie ein frommes und heiliges Gemüth hatte, ist sie auch wirklich von Innsbruck weg ganz heimlich, daß es ihr Bräutigam erst erfuhr, als sie schon wieder auf Goyen angekommen war, bei ihrem Bruder. Der hat sie sehr gelobt, daß sie lieber geflohen war, als das schwere Aergerniß zu geben; denn du weißt, daß die Hirzer's allezeit eifrig gewesen sind für unsern heiligen katholischen Glauben, und der Joseph pflegte zu sagen, lieber den rechten Arm wollt' er missen, als ein Glied seiner Familie verloren geben an die Ketzer und Widerchristen. Die Anna aber hatte sich doch zu viel zugetraut, denn schon nach ein paar Tagen glich sie sich selber nicht mehr und ging wie ein Schatten herum, nahm auch kaum einen Mund voll Speise, daß ich dachte, sie wird ausgehn wie eine Lampe, der man kein Oel nachschüttet. Sie hing schon allzusehr an dem Fremden, und Gott weiß, was ich drum gegeben hätte, wenn sich die armen Leutchen hätten ehelich verbinden können. Ich hab' auch mit dem Herrn Decan damals viel verhandelt, aber zuletzt zerschlug sich's immer wieder, weil die Kinder nicht auch verdammt sein sollten, das hätte auch die Anna nicht übers Herz gebracht. Und so vergingen sechs oder sieben Tage; da kommt der Joseph eines Morgens zu mir, feuerroth vor Wuth und Aerger, und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0130]
Und als sie merkte, daß ihr Bitten und Beten nichts über ihn vermochte, ist sie zu ihrem Beichtvater gegangen, der hat ihr gerathen, ihr Herz Gott zum Opfer zu bringen und vor dem Versucher zu fliehen. Und weil sie ein frommes und heiliges Gemüth hatte, ist sie auch wirklich von Innsbruck weg ganz heimlich, daß es ihr Bräutigam erst erfuhr, als sie schon wieder auf Goyen angekommen war, bei ihrem Bruder. Der hat sie sehr gelobt, daß sie lieber geflohen war, als das schwere Aergerniß zu geben; denn du weißt, daß die Hirzer's allezeit eifrig gewesen sind für unsern heiligen katholischen Glauben, und der Joseph pflegte zu sagen, lieber den rechten Arm wollt' er missen, als ein Glied seiner Familie verloren geben an die Ketzer und Widerchristen. Die Anna aber hatte sich doch zu viel zugetraut, denn schon nach ein paar Tagen glich sie sich selber nicht mehr und ging wie ein Schatten herum, nahm auch kaum einen Mund voll Speise, daß ich dachte, sie wird ausgehn wie eine Lampe, der man kein Oel nachschüttet. Sie hing schon allzusehr an dem Fremden, und Gott weiß, was ich drum gegeben hätte, wenn sich die armen Leutchen hätten ehelich verbinden können. Ich hab' auch mit dem Herrn Decan damals viel verhandelt, aber zuletzt zerschlug sich's immer wieder, weil die Kinder nicht auch verdammt sein sollten, das hätte auch die Anna nicht übers Herz gebracht. Und so vergingen sechs oder sieben Tage; da kommt der Joseph eines Morgens zu mir, feuerroth vor Wuth und Aerger, und
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Zitationshilfe: | Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/130>, abgerufen am 16.02.2025. |