Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.erzählt mir, der Ketzer, der Bräutigam, sei ihr nun wirklich nachgereist, und wohne auf Schloß Trautmannsdorf, weil er mit dem Grafen bekannt sei. Was nun werden solle? -- Ich wieder zum Decan, und wieder der alte Bescheid; und dann zur Anna hinauf und von der zu dem Fremden -- an die Tage will ich denken, so alt ich werden mag, die haben mich nicht wenig Schweiß und Herzblut gekostet. Aber während wir noch Alle mit Sorgen und Reden und Rathen zu schaffen hatten und ich fast glaubte, wir würden an dem Fremden, der ein sehr ehrerbietiges Benehmen gegen mich hatte, der Kirche einen verlornen Sohn zuführen, wußte sich der trotzige und waghalsige Mann heimlich des Nachts auf Schloß Goyen zu schleichen und trotz der Wachsamkeit des Joseph seine Liebste wiederzusehen. Wohl vier Wochen lang dauerte die Heimlichkeit. Eines Morgens aber, noch lang vor der ersten Messe, als er in der grauen Dämmerung eben wieder fort wollte, und zwar wie immer zum Fenster hinaus, wo neben der rauhen Burgmauer dir Fichte so dicht stand, daß er sich wie an einer Leiter hinunterschwingen konnte, da war der Joseph Hirzer früher als sonst aufgewacht und sah die Gestalt herabklimmen und wußte Alles. Da gab es einen wilden Kampf in der stillen Schlucht droben, wo's nach der Naif zu steil abfällt, und die Anna mußte aus ihrem Fenster mit ansehn, wie der Bruder den Bräutigam zuletzt niederrang und ihn mit den Füßen trat. Der Fremde war aber gegen erzählt mir, der Ketzer, der Bräutigam, sei ihr nun wirklich nachgereist, und wohne auf Schloß Trautmannsdorf, weil er mit dem Grafen bekannt sei. Was nun werden solle? — Ich wieder zum Decan, und wieder der alte Bescheid; und dann zur Anna hinauf und von der zu dem Fremden — an die Tage will ich denken, so alt ich werden mag, die haben mich nicht wenig Schweiß und Herzblut gekostet. Aber während wir noch Alle mit Sorgen und Reden und Rathen zu schaffen hatten und ich fast glaubte, wir würden an dem Fremden, der ein sehr ehrerbietiges Benehmen gegen mich hatte, der Kirche einen verlornen Sohn zuführen, wußte sich der trotzige und waghalsige Mann heimlich des Nachts auf Schloß Goyen zu schleichen und trotz der Wachsamkeit des Joseph seine Liebste wiederzusehen. Wohl vier Wochen lang dauerte die Heimlichkeit. Eines Morgens aber, noch lang vor der ersten Messe, als er in der grauen Dämmerung eben wieder fort wollte, und zwar wie immer zum Fenster hinaus, wo neben der rauhen Burgmauer dir Fichte so dicht stand, daß er sich wie an einer Leiter hinunterschwingen konnte, da war der Joseph Hirzer früher als sonst aufgewacht und sah die Gestalt herabklimmen und wußte Alles. Da gab es einen wilden Kampf in der stillen Schlucht droben, wo's nach der Naif zu steil abfällt, und die Anna mußte aus ihrem Fenster mit ansehn, wie der Bruder den Bräutigam zuletzt niederrang und ihn mit den Füßen trat. Der Fremde war aber gegen <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0131"/> erzählt mir, der Ketzer, der Bräutigam, sei ihr nun wirklich nachgereist, und wohne auf Schloß Trautmannsdorf, weil er mit dem Grafen bekannt sei. Was nun werden solle? — Ich wieder zum Decan, und wieder der alte Bescheid; und dann zur Anna hinauf und von der zu dem Fremden — an die Tage will ich denken, so alt ich werden mag, die haben mich nicht wenig Schweiß und Herzblut gekostet. Aber während wir noch Alle mit Sorgen und Reden und Rathen zu schaffen hatten und ich fast glaubte, wir würden an dem Fremden, der ein sehr ehrerbietiges Benehmen gegen mich hatte, der Kirche einen verlornen Sohn zuführen, wußte sich der trotzige und waghalsige Mann heimlich des Nachts auf Schloß Goyen zu schleichen und trotz der Wachsamkeit des Joseph seine Liebste wiederzusehen. Wohl vier Wochen lang dauerte die Heimlichkeit. Eines Morgens aber, noch lang vor der ersten Messe, als er in der grauen Dämmerung eben wieder fort wollte, und zwar wie immer zum Fenster hinaus, wo neben der rauhen Burgmauer dir Fichte so dicht stand, daß er sich wie an einer Leiter hinunterschwingen konnte, da war der Joseph Hirzer früher als sonst aufgewacht und sah die Gestalt herabklimmen und wußte Alles. Da gab es einen wilden Kampf in der stillen Schlucht droben, wo's nach der Naif zu steil abfällt, und die Anna mußte aus ihrem Fenster mit ansehn, wie der Bruder den Bräutigam zuletzt niederrang und ihn mit den Füßen trat. Der Fremde war aber gegen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0131]
erzählt mir, der Ketzer, der Bräutigam, sei ihr nun wirklich nachgereist, und wohne auf Schloß Trautmannsdorf, weil er mit dem Grafen bekannt sei. Was nun werden solle? — Ich wieder zum Decan, und wieder der alte Bescheid; und dann zur Anna hinauf und von der zu dem Fremden — an die Tage will ich denken, so alt ich werden mag, die haben mich nicht wenig Schweiß und Herzblut gekostet. Aber während wir noch Alle mit Sorgen und Reden und Rathen zu schaffen hatten und ich fast glaubte, wir würden an dem Fremden, der ein sehr ehrerbietiges Benehmen gegen mich hatte, der Kirche einen verlornen Sohn zuführen, wußte sich der trotzige und waghalsige Mann heimlich des Nachts auf Schloß Goyen zu schleichen und trotz der Wachsamkeit des Joseph seine Liebste wiederzusehen. Wohl vier Wochen lang dauerte die Heimlichkeit. Eines Morgens aber, noch lang vor der ersten Messe, als er in der grauen Dämmerung eben wieder fort wollte, und zwar wie immer zum Fenster hinaus, wo neben der rauhen Burgmauer dir Fichte so dicht stand, daß er sich wie an einer Leiter hinunterschwingen konnte, da war der Joseph Hirzer früher als sonst aufgewacht und sah die Gestalt herabklimmen und wußte Alles. Da gab es einen wilden Kampf in der stillen Schlucht droben, wo's nach der Naif zu steil abfällt, und die Anna mußte aus ihrem Fenster mit ansehn, wie der Bruder den Bräutigam zuletzt niederrang und ihn mit den Füßen trat. Der Fremde war aber gegen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/131 |
Zitationshilfe: | Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/131>, abgerufen am 16.07.2024. |