Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.kommen und wieder in Meran leben, daran ist kein Gedanke, eher daß ich noch weiter weg komme, in ein Kloster drüben in Italien, oder gar nach Frankreich hinein. Denn du hast freilich Recht, die Luft hier taugt mir nicht. Er sah düster und scheu vor sich hin auf den grauen Felsboden. Andree, fing sie wieder an, du darfst nicht so sprechen, wenn du mich nicht ganz traurig machen willst und böse dazu. Ich hab' gar keine Freud' gehabt ohne dich den ganzen Winter, und jetzt, so bald ich gekonnt hab', hab' ich Alles im Stich gelassen und bin zu dir gereist, und nun sprichst du von Weggehn nach fremden Ländern, als wenn ich dich gar nichts anging'. Wenn ich so Reden von dir hör', könnt' ich fast denken, die Mutter hätt' Recht gehabt, als sie im Fieber immer vor sich hin redete, du sei'st gar nicht ihr Kind, sie hätt' dich ja nur einer Andern abgenommen um mit einem sauberen Buben Staat zu machen, da sie selber so wüst war. Ja denk, davon konnte sie halbe Stunden lang reden, und wenn ich sehen muß, wie wenig du auf mich hältst, fang' ich wahrhaftig an zu fürchten, du wärst gar mein Bruder nicht, weil du so hartherzig zu mir sein kannst. Er war unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten und starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Moidi! stammelte er mit schwerer Zunge, ist das kommen und wieder in Meran leben, daran ist kein Gedanke, eher daß ich noch weiter weg komme, in ein Kloster drüben in Italien, oder gar nach Frankreich hinein. Denn du hast freilich Recht, die Luft hier taugt mir nicht. Er sah düster und scheu vor sich hin auf den grauen Felsboden. Andree, fing sie wieder an, du darfst nicht so sprechen, wenn du mich nicht ganz traurig machen willst und böse dazu. Ich hab' gar keine Freud' gehabt ohne dich den ganzen Winter, und jetzt, so bald ich gekonnt hab', hab' ich Alles im Stich gelassen und bin zu dir gereist, und nun sprichst du von Weggehn nach fremden Ländern, als wenn ich dich gar nichts anging'. Wenn ich so Reden von dir hör', könnt' ich fast denken, die Mutter hätt' Recht gehabt, als sie im Fieber immer vor sich hin redete, du sei'st gar nicht ihr Kind, sie hätt' dich ja nur einer Andern abgenommen um mit einem sauberen Buben Staat zu machen, da sie selber so wüst war. Ja denk, davon konnte sie halbe Stunden lang reden, und wenn ich sehen muß, wie wenig du auf mich hältst, fang' ich wahrhaftig an zu fürchten, du wärst gar mein Bruder nicht, weil du so hartherzig zu mir sein kannst. Er war unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten und starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Moidi! stammelte er mit schwerer Zunge, ist das <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0091"/> kommen und wieder in Meran leben, daran ist kein Gedanke, eher daß ich noch weiter weg komme, in ein Kloster drüben in Italien, oder gar nach Frankreich hinein. Denn du hast freilich Recht, die Luft hier taugt mir nicht.</p><lb/> <p>Er sah düster und scheu vor sich hin auf den grauen Felsboden.</p><lb/> <p>Andree, fing sie wieder an, du darfst nicht so sprechen, wenn du mich nicht ganz traurig machen willst und böse dazu. Ich hab' gar keine Freud' gehabt ohne dich den ganzen Winter, und jetzt, so bald ich gekonnt hab', hab' ich Alles im Stich gelassen und bin zu dir gereist, und nun sprichst du von Weggehn nach fremden Ländern, als wenn ich dich gar nichts anging'. Wenn ich so Reden von dir hör', könnt' ich fast denken, die Mutter hätt' Recht gehabt, als sie im Fieber immer vor sich hin redete, du sei'st gar nicht ihr Kind, sie hätt' dich ja nur einer Andern abgenommen um mit einem sauberen Buben Staat zu machen, da sie selber so wüst war. Ja denk, davon konnte sie halbe Stunden lang reden, und wenn ich sehen muß, wie wenig du auf mich hältst, fang' ich wahrhaftig an zu fürchten, du wärst gar mein Bruder nicht, weil du so hartherzig zu mir sein kannst.</p><lb/> <p>Er war unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten und starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Moidi! stammelte er mit schwerer Zunge, ist das<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0091]
kommen und wieder in Meran leben, daran ist kein Gedanke, eher daß ich noch weiter weg komme, in ein Kloster drüben in Italien, oder gar nach Frankreich hinein. Denn du hast freilich Recht, die Luft hier taugt mir nicht.
Er sah düster und scheu vor sich hin auf den grauen Felsboden.
Andree, fing sie wieder an, du darfst nicht so sprechen, wenn du mich nicht ganz traurig machen willst und böse dazu. Ich hab' gar keine Freud' gehabt ohne dich den ganzen Winter, und jetzt, so bald ich gekonnt hab', hab' ich Alles im Stich gelassen und bin zu dir gereist, und nun sprichst du von Weggehn nach fremden Ländern, als wenn ich dich gar nichts anging'. Wenn ich so Reden von dir hör', könnt' ich fast denken, die Mutter hätt' Recht gehabt, als sie im Fieber immer vor sich hin redete, du sei'st gar nicht ihr Kind, sie hätt' dich ja nur einer Andern abgenommen um mit einem sauberen Buben Staat zu machen, da sie selber so wüst war. Ja denk, davon konnte sie halbe Stunden lang reden, und wenn ich sehen muß, wie wenig du auf mich hältst, fang' ich wahrhaftig an zu fürchten, du wärst gar mein Bruder nicht, weil du so hartherzig zu mir sein kannst.
Er war unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten und starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Moidi! stammelte er mit schwerer Zunge, ist das
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Zitationshilfe: | Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/91>, abgerufen am 16.07.2024. |