Heyse, Paul; Kurz, Hermann: Einleitung. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. V–XXIV. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.der achtziger Jahre im "Teutschen Merkur" veröffentlicht hat, "Herr Oheim der Jüngere", "Lindor" u. s. w., trefflich im Ton und können als Muster ihrer Art gelten: aber es herrscht in ihnen ein dem Zeitgeschmack entsprechender Pragmatismus und zugleich ein dem Verfasser eigener Pessimismus, die keinen poetischen Eindruck aufkommen lassen. Auch waren jene kurzen, meist aus dem Leben gegriffenen Geschichten beliebt, die man als eine "wahre Geschichte" mit einem gewissen Schwung zu erzählen und das eine Mal dem Dichter, das andre Mal dem Psychologen oder Volkserzieher zu empfehlen pflegte; sie sind, ob wahr oder erfunden, rein stoffartig und ohne künstlerische Form. Dahin gehört die Erzählung "Zur Geschichte des menschlichen Herzens" im "Schwäbischen Magazin" für 1775, aus welcher Schiller den Stoff zu den Räubern nahm; und in gewissem Betracht auch Schiller's "Verbrecher aus verlorener Ehre", der mit seinem schönen Pathos gleichwohl nicht recht aus dem Pragmatischen und Stoffartigen herauskommt und nebenbei sonderbarerweise in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes nichts weniger als "wahr" ist. - Eine der werthvollsten Erzählungen aus jener Vorperiode ist Wieland's "Peregrinus Proteus", ein Werk voll Geist, aber von ganz anderem als novellistischem Zuschnitt und Interesse. Nicht mehr in jene Epoche fällt seine "Novelle ohne Titel", die ein sehr bedeutendes Thema der achtziger Jahre im „Teutschen Merkur“ veröffentlicht hat, „Herr Oheim der Jüngere“, „Lindor“ u. s. w., trefflich im Ton und können als Muster ihrer Art gelten: aber es herrscht in ihnen ein dem Zeitgeschmack entsprechender Pragmatismus und zugleich ein dem Verfasser eigener Pessimismus, die keinen poetischen Eindruck aufkommen lassen. Auch waren jene kurzen, meist aus dem Leben gegriffenen Geschichten beliebt, die man als eine „wahre Geschichte“ mit einem gewissen Schwung zu erzählen und das eine Mal dem Dichter, das andre Mal dem Psychologen oder Volkserzieher zu empfehlen pflegte; sie sind, ob wahr oder erfunden, rein stoffartig und ohne künstlerische Form. Dahin gehört die Erzählung „Zur Geschichte des menschlichen Herzens“ im „Schwäbischen Magazin“ für 1775, aus welcher Schiller den Stoff zu den Räubern nahm; und in gewissem Betracht auch Schiller's „Verbrecher aus verlorener Ehre“, der mit seinem schönen Pathos gleichwohl nicht recht aus dem Pragmatischen und Stoffartigen herauskommt und nebenbei sonderbarerweise in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes nichts weniger als „wahr“ ist. – Eine der werthvollsten Erzählungen aus jener Vorperiode ist Wieland's „Peregrinus Proteus“, ein Werk voll Geist, aber von ganz anderem als novellistischem Zuschnitt und Interesse. Nicht mehr in jene Epoche fällt seine „Novelle ohne Titel“, die ein sehr bedeutendes Thema <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0006" n="VI"/> der achtziger Jahre im „Teutschen Merkur“ veröffentlicht hat, „Herr Oheim der Jüngere“, „Lindor“ u. s. w., trefflich im Ton und können als Muster ihrer Art gelten: aber es herrscht in ihnen ein dem Zeitgeschmack entsprechender Pragmatismus und zugleich ein dem Verfasser eigener Pessimismus, die keinen poetischen Eindruck aufkommen lassen. Auch waren jene kurzen, meist aus dem Leben gegriffenen Geschichten beliebt, die man als eine „wahre Geschichte“ mit einem gewissen Schwung zu erzählen und das eine Mal dem Dichter, das andre Mal dem Psychologen oder Volkserzieher zu empfehlen pflegte; sie sind, ob wahr oder erfunden, rein stoffartig und ohne künstlerische Form. Dahin gehört die Erzählung „Zur Geschichte des menschlichen Herzens“ im „Schwäbischen Magazin“ für 1775, aus welcher <hi rendition="#g">Schiller</hi> den Stoff zu den Räubern nahm; und in gewissem Betracht auch Schiller's „Verbrecher aus verlorener Ehre“, der mit seinem schönen Pathos gleichwohl nicht recht aus dem Pragmatischen und Stoffartigen herauskommt und nebenbei sonderbarerweise in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes nichts weniger als „wahr“ ist. – Eine der werthvollsten Erzählungen aus jener Vorperiode ist <hi rendition="#g">Wieland</hi>'s „Peregrinus Proteus“, ein Werk voll Geist, aber von ganz anderem als novellistischem Zuschnitt und Interesse. Nicht mehr in jene Epoche fällt seine „Novelle ohne Titel“, die ein sehr bedeutendes Thema<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [VI/0006]
der achtziger Jahre im „Teutschen Merkur“ veröffentlicht hat, „Herr Oheim der Jüngere“, „Lindor“ u. s. w., trefflich im Ton und können als Muster ihrer Art gelten: aber es herrscht in ihnen ein dem Zeitgeschmack entsprechender Pragmatismus und zugleich ein dem Verfasser eigener Pessimismus, die keinen poetischen Eindruck aufkommen lassen. Auch waren jene kurzen, meist aus dem Leben gegriffenen Geschichten beliebt, die man als eine „wahre Geschichte“ mit einem gewissen Schwung zu erzählen und das eine Mal dem Dichter, das andre Mal dem Psychologen oder Volkserzieher zu empfehlen pflegte; sie sind, ob wahr oder erfunden, rein stoffartig und ohne künstlerische Form. Dahin gehört die Erzählung „Zur Geschichte des menschlichen Herzens“ im „Schwäbischen Magazin“ für 1775, aus welcher Schiller den Stoff zu den Räubern nahm; und in gewissem Betracht auch Schiller's „Verbrecher aus verlorener Ehre“, der mit seinem schönen Pathos gleichwohl nicht recht aus dem Pragmatischen und Stoffartigen herauskommt und nebenbei sonderbarerweise in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes nichts weniger als „wahr“ ist. – Eine der werthvollsten Erzählungen aus jener Vorperiode ist Wieland's „Peregrinus Proteus“, ein Werk voll Geist, aber von ganz anderem als novellistischem Zuschnitt und Interesse. Nicht mehr in jene Epoche fällt seine „Novelle ohne Titel“, die ein sehr bedeutendes Thema
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(2017-03-15T10:24:04Z)
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T10:24:04Z)
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