Heyse, Paul; Kurz, Hermann: Einleitung. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. V–XXIV. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ziemlich hastig abthut und am Schlusse, wo verschiedene Ausgänge der Geschichte zu beliebiger Auswahl angeboten werden, in großer Naivetät errathen läßt, wie wenig es dem Dichter mit der vollen künstlerischen Erledigung eines Novellenproblems Ernst gewesen sei. Noch weniger tief durchgeführt sind die übrigen Erzählungen dieses seines "Herameron von Rosenhain", das im Jahr 1805 entstand, in einer Zeit, wo die echte Novelle bereits bei uns Wurzel geschlagen hatte. Nicht früher nämlich als zu Ende des vorigen Jahrhunderts und durch Goethe wurde dieselbe in unsere Dichtung eingeführt. Es ist von Gewicht, daß der Begründer der deutschen Novelle eben damals, als er in den Unterhaltungen der Ausgewanderten ein modernes Decameron anzulegen beabsichtigte, mit jenen spanischen Musternovellen vertraut wurde, in welchen er einen Schatz gefunden zu haben bekannte. "Wie sehr", rief er, freudig den verwandten Geist begrüßend, "wie sehr wird man auf seinem Wege gefördert, wenn man Arbeiten sieht, die nach eben den Grundsätzen gebildet sind, nach denen wir nach unserem Maße und in unserem Kreise selbst verfahren!" Goethe's Bahn jedoch ging bald wieder über die Novelle hinaus, und wenn er auch später zu ihr zurückkehrte, so fügte er sie fast durchaus in einen größeren Rahmen ein, worin gerade einige seiner ziemlich hastig abthut und am Schlusse, wo verschiedene Ausgänge der Geschichte zu beliebiger Auswahl angeboten werden, in großer Naivetät errathen läßt, wie wenig es dem Dichter mit der vollen künstlerischen Erledigung eines Novellenproblems Ernst gewesen sei. Noch weniger tief durchgeführt sind die übrigen Erzählungen dieses seines „Herameron von Rosenhain“, das im Jahr 1805 entstand, in einer Zeit, wo die echte Novelle bereits bei uns Wurzel geschlagen hatte. Nicht früher nämlich als zu Ende des vorigen Jahrhunderts und durch Goethe wurde dieselbe in unsere Dichtung eingeführt. Es ist von Gewicht, daß der Begründer der deutschen Novelle eben damals, als er in den Unterhaltungen der Ausgewanderten ein modernes Decameron anzulegen beabsichtigte, mit jenen spanischen Musternovellen vertraut wurde, in welchen er einen Schatz gefunden zu haben bekannte. „Wie sehr“, rief er, freudig den verwandten Geist begrüßend, „wie sehr wird man auf seinem Wege gefördert, wenn man Arbeiten sieht, die nach eben den Grundsätzen gebildet sind, nach denen wir nach unserem Maße und in unserem Kreise selbst verfahren!“ Goethe's Bahn jedoch ging bald wieder über die Novelle hinaus, und wenn er auch später zu ihr zurückkehrte, so fügte er sie fast durchaus in einen größeren Rahmen ein, worin gerade einige seiner <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0007" n="VII"/> ziemlich hastig abthut und am Schlusse, wo verschiedene Ausgänge der Geschichte zu beliebiger Auswahl angeboten werden, in großer Naivetät errathen läßt, wie wenig es dem Dichter mit der vollen künstlerischen Erledigung eines Novellenproblems Ernst gewesen sei. Noch weniger tief durchgeführt sind die übrigen Erzählungen dieses seines „Herameron von Rosenhain“, das im Jahr 1805 entstand, in einer Zeit, wo die echte Novelle bereits bei uns Wurzel geschlagen hatte.</p> <p>Nicht früher nämlich als zu Ende des vorigen Jahrhunderts und durch <hi rendition="#g">Goethe</hi> wurde dieselbe in unsere Dichtung eingeführt. Es ist von Gewicht, daß der Begründer der deutschen Novelle eben damals, als er in den Unterhaltungen der Ausgewanderten ein modernes Decameron anzulegen beabsichtigte, mit jenen spanischen Musternovellen vertraut wurde, in welchen er einen Schatz gefunden zu haben bekannte. „Wie sehr“, rief er, freudig den verwandten Geist begrüßend, „wie sehr wird man auf seinem Wege gefördert, wenn man Arbeiten sieht, die nach eben den Grundsätzen gebildet sind, nach denen wir nach unserem Maße und in unserem Kreise selbst verfahren!“</p> <p>Goethe's Bahn jedoch ging bald wieder über die Novelle hinaus, und wenn er auch später zu ihr zurückkehrte, so fügte er sie fast durchaus in einen größeren Rahmen ein, worin gerade einige seiner<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [VII/0007]
ziemlich hastig abthut und am Schlusse, wo verschiedene Ausgänge der Geschichte zu beliebiger Auswahl angeboten werden, in großer Naivetät errathen läßt, wie wenig es dem Dichter mit der vollen künstlerischen Erledigung eines Novellenproblems Ernst gewesen sei. Noch weniger tief durchgeführt sind die übrigen Erzählungen dieses seines „Herameron von Rosenhain“, das im Jahr 1805 entstand, in einer Zeit, wo die echte Novelle bereits bei uns Wurzel geschlagen hatte.
Nicht früher nämlich als zu Ende des vorigen Jahrhunderts und durch Goethe wurde dieselbe in unsere Dichtung eingeführt. Es ist von Gewicht, daß der Begründer der deutschen Novelle eben damals, als er in den Unterhaltungen der Ausgewanderten ein modernes Decameron anzulegen beabsichtigte, mit jenen spanischen Musternovellen vertraut wurde, in welchen er einen Schatz gefunden zu haben bekannte. „Wie sehr“, rief er, freudig den verwandten Geist begrüßend, „wie sehr wird man auf seinem Wege gefördert, wenn man Arbeiten sieht, die nach eben den Grundsätzen gebildet sind, nach denen wir nach unserem Maße und in unserem Kreise selbst verfahren!“
Goethe's Bahn jedoch ging bald wieder über die Novelle hinaus, und wenn er auch später zu ihr zurückkehrte, so fügte er sie fast durchaus in einen größeren Rahmen ein, worin gerade einige seiner
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