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Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897.

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Frauenstimmrecht.
Frauen haben die gleiche Bildung, wie die grosse Masse der
gegenwärtig Stimmberechtigten, und was das Interesse an
politischen Dingen, oder das natürliche Gefühl für das Rechte
und Wahre darin anbetrifft, so sind sie im letzteren den
Männern mitunter überlegen und das Interesse kommt mit
der Uebung, wo es noch nicht genügend vorhanden ist.
Man kann nicht von Jemand verlangen, dass er sich lebhaft
für ein Gut interessire, das er niemals zu geniessen bekom-
men kann. Das ist ja der ganze Vorzug der demokratischen
Staatseinrichtung vor jeder anderen, dass sie die Menschen
durch Theilnahme am Staatswesen erzieht und auf eine höhere
Stufe hebt. Wäre das nicht der Fall, so wäre die Frage
sehr offen, ob sie die Palme verdiente.

2. Die Unweiblichkeit einer Beschäftigung mit der
Politik, die ferner angeführt zu werden pflegt, beruht
wesentlich auf Gewohnheitsanschauungen, oder darauf, dass
die jetzigen Vertreterinnen der "Frauenrechte" zuweilen einen
etwas excentrischen Typus haben, wie er allen Vorkämpfern
für neue Ideen eigen zu sein pflegt, der sich aber verliert, wenn
dieselben Gemeingut geworden sind. Die Frauen, die stimm-
berechtigt sind, werden sich so wenig ausschliesslich mit Politik
beschäftigen, wie die grösste Zahl der Männer, und wenn man
sie überhaupt von einer Beschäftigung mit solchen Dingen fern
halten will, damit sie nur ein artiges Spielzeug, oder ein noth-
wendiges materielles Mittel zur Erhaltung des Menschen-
geschlechtes bleiben, so ist ihre ganze jetzige Erziehung, die sie
zu höheren Aspirationen veranlasst, eine verfehlte zu nennen.
Es ist dann das Beispiel der Athener zu befolgen, die ihre
Frauen haremartig einsperrten und zu ihrer geistigen Unter-
haltung Hetären bevorzugten.1)

1) Das Beispiel der Aspasia ist bekannt. Darin waren auch
die gebildetsten Athener nach unseren jetzigen Begriffen etwas roh.

Frauenstimmrecht.
Frauen haben die gleiche Bildung, wie die grosse Masse der
gegenwärtig Stimmberechtigten, und was das Interesse an
politischen Dingen, oder das natürliche Gefühl für das Rechte
und Wahre darin anbetrifft, so sind sie im letzteren den
Männern mitunter überlegen und das Interesse kommt mit
der Uebung, wo es noch nicht genügend vorhanden ist.
Man kann nicht von Jemand verlangen, dass er sich lebhaft
für ein Gut interessire, das er niemals zu geniessen bekom-
men kann. Das ist ja der ganze Vorzug der demokratischen
Staatseinrichtung vor jeder anderen, dass sie die Menschen
durch Theilnahme am Staatswesen erzieht und auf eine höhere
Stufe hebt. Wäre das nicht der Fall, so wäre die Frage
sehr offen, ob sie die Palme verdiente.

2. Die Unweiblichkeit einer Beschäftigung mit der
Politik, die ferner angeführt zu werden pflegt, beruht
wesentlich auf Gewohnheitsanschauungen, oder darauf, dass
die jetzigen Vertreterinnen der «Frauenrechte» zuweilen einen
etwas excentrischen Typus haben, wie er allen Vorkämpfern
für neue Ideen eigen zu sein pflegt, der sich aber verliert, wenn
dieselben Gemeingut geworden sind. Die Frauen, die stimm-
berechtigt sind, werden sich so wenig ausschliesslich mit Politik
beschäftigen, wie die grösste Zahl der Männer, und wenn man
sie überhaupt von einer Beschäftigung mit solchen Dingen fern
halten will, damit sie nur ein artiges Spielzeug, oder ein noth-
wendiges materielles Mittel zur Erhaltung des Menschen-
geschlechtes bleiben, so ist ihre ganze jetzige Erziehung, die sie
zu höheren Aspirationen veranlasst, eine verfehlte zu nennen.
Es ist dann das Beispiel der Athener zu befolgen, die ihre
Frauen haremartig einsperrten und zu ihrer geistigen Unter-
haltung Hetären bevorzugten.1)

1) Das Beispiel der Aspasia ist bekannt. Darin waren auch
die gebildetsten Athener nach unseren jetzigen Begriffen etwas roh.
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[284/0044] Frauenstimmrecht. Frauen haben die gleiche Bildung, wie die grosse Masse der gegenwärtig Stimmberechtigten, und was das Interesse an politischen Dingen, oder das natürliche Gefühl für das Rechte und Wahre darin anbetrifft, so sind sie im letzteren den Männern mitunter überlegen und das Interesse kommt mit der Uebung, wo es noch nicht genügend vorhanden ist. Man kann nicht von Jemand verlangen, dass er sich lebhaft für ein Gut interessire, das er niemals zu geniessen bekom- men kann. Das ist ja der ganze Vorzug der demokratischen Staatseinrichtung vor jeder anderen, dass sie die Menschen durch Theilnahme am Staatswesen erzieht und auf eine höhere Stufe hebt. Wäre das nicht der Fall, so wäre die Frage sehr offen, ob sie die Palme verdiente. 2. Die Unweiblichkeit einer Beschäftigung mit der Politik, die ferner angeführt zu werden pflegt, beruht wesentlich auf Gewohnheitsanschauungen, oder darauf, dass die jetzigen Vertreterinnen der «Frauenrechte» zuweilen einen etwas excentrischen Typus haben, wie er allen Vorkämpfern für neue Ideen eigen zu sein pflegt, der sich aber verliert, wenn dieselben Gemeingut geworden sind. Die Frauen, die stimm- berechtigt sind, werden sich so wenig ausschliesslich mit Politik beschäftigen, wie die grösste Zahl der Männer, und wenn man sie überhaupt von einer Beschäftigung mit solchen Dingen fern halten will, damit sie nur ein artiges Spielzeug, oder ein noth- wendiges materielles Mittel zur Erhaltung des Menschen- geschlechtes bleiben, so ist ihre ganze jetzige Erziehung, die sie zu höheren Aspirationen veranlasst, eine verfehlte zu nennen. Es ist dann das Beispiel der Athener zu befolgen, die ihre Frauen haremartig einsperrten und zu ihrer geistigen Unter- haltung Hetären bevorzugten. 1) 1) Das Beispiel der Aspasia ist bekannt. Darin waren auch die gebildetsten Athener nach unseren jetzigen Begriffen etwas roh.

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Zitationshilfe: Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hilty_frauenstimmrecht_1897/44>, abgerufen am 28.04.2024.