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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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gab, war, um sich selbst ein Kreutz aufzule-
gen. Er behauptet' er hätte sein Lebtag
keine Niete gezogen, sondern wär, alstets
glücklich gewesen, und da man durch viel
Trübsal zum Reich Gottes eingehen müßte;
so litt er gern diese Ungemächligkeit, beklagte
sich nur gegen mich, nachdem ich mein neun-
zehntes Jahr erreicht, und gegen einen einzi-
gen guten Freund -- ohne Trost anzuneh-
men, wohl wißend, es würde seiner lieben
Frauen jedes unnüze Wort noch vor Sonnen-
untergang gereuen, was sie geredet hatte.
Dies geschah auch anfänglich; allein nach der
Zeit weiß ich mich zu besinnen, daß es in
wichtigen Fällen bis zweymal vierundzwanzig
Stunden währete, alsdenn aber war auch
draußen schlecht Wetter, und die Sonne blieb
im Bette, ohn einmal aufzustehen und zu
sehen, was für Wetter es sei. Hier ist der
Schlüßel zu deines Grosvaters Charakter.

Polycrates, Erbherr auf Samos, tödtete
seinen jüngsten Herrn Bruder, und den
Bruder vor ihm schickt er nach Siberien um
allein auf Samos zu wohnen. Polycrates
war der älteste. Alles, was er wolte,
ward.


Ich

gab, war, um ſich ſelbſt ein Kreutz aufzule-
gen. Er behauptet’ er haͤtte ſein Lebtag
keine Niete gezogen, ſondern waͤr, alſtets
gluͤcklich geweſen, und da man durch viel
Truͤbſal zum Reich Gottes eingehen muͤßte;
ſo litt er gern dieſe Ungemaͤchligkeit, beklagte
ſich nur gegen mich, nachdem ich mein neun-
zehntes Jahr erreicht, und gegen einen einzi-
gen guten Freund — ohne Troſt anzuneh-
men, wohl wißend, es wuͤrde ſeiner lieben
Frauen jedes unnuͤze Wort noch vor Sonnen-
untergang gereuen, was ſie geredet hatte.
Dies geſchah auch anfaͤnglich; allein nach der
Zeit weiß ich mich zu beſinnen, daß es in
wichtigen Faͤllen bis zweymal vierundzwanzig
Stunden waͤhrete, alsdenn aber war auch
draußen ſchlecht Wetter, und die Sonne blieb
im Bette, ohn einmal aufzuſtehen und zu
ſehen, was fuͤr Wetter es ſei. Hier iſt der
Schluͤßel zu deines Grosvaters Charakter.

Polycrates, Erbherr auf Samos, toͤdtete
ſeinen juͤngſten Herrn Bruder, und den
Bruder vor ihm ſchickt er nach Siberien um
allein auf Samos zu wohnen. Polycrates
war der aͤlteſte. Alles, was er wolte,
ward.


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[264/0276] gab, war, um ſich ſelbſt ein Kreutz aufzule- gen. Er behauptet’ er haͤtte ſein Lebtag keine Niete gezogen, ſondern waͤr, alſtets gluͤcklich geweſen, und da man durch viel Truͤbſal zum Reich Gottes eingehen muͤßte; ſo litt er gern dieſe Ungemaͤchligkeit, beklagte ſich nur gegen mich, nachdem ich mein neun- zehntes Jahr erreicht, und gegen einen einzi- gen guten Freund — ohne Troſt anzuneh- men, wohl wißend, es wuͤrde ſeiner lieben Frauen jedes unnuͤze Wort noch vor Sonnen- untergang gereuen, was ſie geredet hatte. Dies geſchah auch anfaͤnglich; allein nach der Zeit weiß ich mich zu beſinnen, daß es in wichtigen Faͤllen bis zweymal vierundzwanzig Stunden waͤhrete, alsdenn aber war auch draußen ſchlecht Wetter, und die Sonne blieb im Bette, ohn einmal aufzuſtehen und zu ſehen, was fuͤr Wetter es ſei. Hier iſt der Schluͤßel zu deines Grosvaters Charakter. Polycrates, Erbherr auf Samos, toͤdtete ſeinen juͤngſten Herrn Bruder, und den Bruder vor ihm ſchickt er nach Siberien um allein auf Samos zu wohnen. Polycrates war der aͤlteſte. Alles, was er wolte, ward. Ich

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/276>, abgerufen am 24.11.2024.