Ich versicherte meine Mutter, die sonst Stationes liebte, daß ich diese Geschichte zur Noth wüßte; allein sie hatte, wie meine Leser es ohne Fingerzeig, so gut wie ich, mercken werden, auf ihren Vortrag studirt. Bring mich nicht aus der Melodie, antwortete sie: dein Vater hat meinen Styl ohnedem ins Bockshorn gejagt. Sonst pflegten hahn und lahn und stahn meine Busenwörter zu seyn -- jetzt muß ich genau auf die Noten sehen, um nicht aus der Weise zu kommen.
Sein guter Freund -- des Policrates nehmlich -- den das Glück seines Freundes nicht eifersichtig, sondern besorgt machte, bat ihn sehr, er möchte doch Brunnenkreß zum Rehbraten eßen, und nur etwas weniges sein Leben verbittern. Polycrates wirft sei- nen Ring ins Meer. Nach wenigen Tagen fähet ein Fischer einen ungewöhnlich gro- ßen Fisch, verehrt ihn dem Hofe und der Koch findet den Ring. Der gute Freund, der ihm gerathen sich unglücklich zu machen, kündigt ihm nach diesem Vorfall seine Freund- schaft auf, weil er keinen so glücklichen Freund haben wolte, indem er ein so großes Unglück für ihn befürchtete, daß er ihm nicht würde beystehen können. So gesagt so ge-
schehen.
Ich verſicherte meine Mutter, die ſonſt Stationes liebte, daß ich dieſe Geſchichte zur Noth wuͤßte; allein ſie hatte, wie meine Leſer es ohne Fingerzeig, ſo gut wie ich, mercken werden, auf ihren Vortrag ſtudirt. Bring mich nicht aus der Melodie, antwortete ſie: dein Vater hat meinen Styl ohnedem ins Bockshorn gejagt. Sonſt pflegten hahn und lahn und ſtahn meine Buſenwoͤrter zu ſeyn — jetzt muß ich genau auf die Noten ſehen, um nicht aus der Weiſe zu kommen.
Sein guter Freund — des Policrates nehmlich — den das Gluͤck ſeines Freundes nicht eiferſichtig, ſondern beſorgt machte, bat ihn ſehr, er moͤchte doch Brunnenkreß zum Rehbraten eßen, und nur etwas weniges ſein Leben verbittern. Polycrates wirft ſei- nen Ring ins Meer. Nach wenigen Tagen faͤhet ein Fiſcher einen ungewoͤhnlich gro- ßen Fiſch, verehrt ihn dem Hofe und der Koch findet den Ring. Der gute Freund, der ihm gerathen ſich ungluͤcklich zu machen, kuͤndigt ihm nach dieſem Vorfall ſeine Freund- ſchaft auf, weil er keinen ſo gluͤcklichen Freund haben wolte, indem er ein ſo großes Ungluͤck fuͤr ihn befuͤrchtete, daß er ihm nicht wuͤrde beyſtehen koͤnnen. So geſagt ſo ge-
ſchehen.
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Ich verſicherte meine Mutter, die ſonſt
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Noth wuͤßte; allein ſie hatte, wie meine Leſer
es ohne Fingerzeig, ſo gut wie ich, mercken
werden, auf ihren Vortrag ſtudirt. Bring
mich nicht aus der Melodie, antwortete ſie:
dein Vater hat meinen Styl ohnedem ins
Bockshorn gejagt. Sonſt pflegten hahn und
lahn und ſtahn meine Buſenwoͤrter zu ſeyn —
jetzt muß ich genau auf die Noten ſehen, um
nicht aus der Weiſe zu kommen.
Sein guter Freund — des Policrates
nehmlich — den das Gluͤck ſeines Freundes
nicht eiferſichtig, ſondern beſorgt machte, bat
ihn ſehr, er moͤchte doch Brunnenkreß zum
Rehbraten eßen, und nur etwas weniges
ſein Leben verbittern. Polycrates wirft ſei-
nen Ring ins Meer. Nach wenigen Tagen
faͤhet ein Fiſcher einen ungewoͤhnlich gro-
ßen Fiſch, verehrt ihn dem Hofe und der
Koch findet den Ring. Der gute Freund,
der ihm gerathen ſich ungluͤcklich zu machen,
kuͤndigt ihm nach dieſem Vorfall ſeine Freund-
ſchaft auf, weil er keinen ſo gluͤcklichen
Freund haben wolte, indem er ein ſo großes
Ungluͤck fuͤr ihn befuͤrchtete, daß er ihm nicht
wuͤrde beyſtehen koͤnnen. So geſagt ſo ge-
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/277>, abgerufen am 24.11.2024.
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