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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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serm lieben Dörflein, wo ich über jedes
Huhn hätte urteln können, wenn über des-
sen Eigenthum ein Streit gewesen wäre.
Manches kam mir freilich sehr bedenklich
vor worunter zum Exempel war, daß man
bey ihm zu Hause ohne Nacht -- oder Un-
terhemde ginge und zu seiner Zeit lange
Manschetten (die meine Mutter Handblätter
nannte) getragen hätte. Eines Tages, da
ein Litteratus (welches in Curland eben kei-
nen Gelehrten sondern ein unseelig Mittel-
ding von Edelmann und Bauer bedeutet)
mit ungewöhnlich langen Manschetten bey
uns des Mittags aß; mußte ich glauben,
daß er ein Himmelsbürger und Landsmann
meines Vaters wäre und wegen des ganz
ungewöhnlichen Maaßes seiner Handblätter
schon etwas mehr als ein andrer im Him-
mel gelten müßte. Kaum hatte er nach mei-
ner Meinung das Jammerthal unseres
Pastorats mit den seeligen Wohnungen der
Gerechten verwechselt, kaum sag ich war er
fort; so fragt ich meinen Vater was ihm
der gute Freund für Nachrichten aus dem
Himmel gebracht hätte, und mein Vater
nahm Gelegenheit mir die wahren Begriffe
von jener Welt beyzubringen, denen mein

Herz
B 4

ſerm lieben Doͤrflein, wo ich uͤber jedes
Huhn haͤtte urteln koͤnnen, wenn uͤber deſ-
ſen Eigenthum ein Streit geweſen waͤre.
Manches kam mir freilich ſehr bedenklich
vor worunter zum Exempel war, daß man
bey ihm zu Hauſe ohne Nacht — oder Un-
terhemde ginge und zu ſeiner Zeit lange
Manſchetten (die meine Mutter Handblaͤtter
nannte) getragen haͤtte. Eines Tages, da
ein Litteratus (welches in Curland eben kei-
nen Gelehrten ſondern ein unſeelig Mittel-
ding von Edelmann und Bauer bedeutet)
mit ungewoͤhnlich langen Manſchetten bey
uns des Mittags aß; mußte ich glauben,
daß er ein Himmelsbuͤrger und Landsmann
meines Vaters waͤre und wegen des ganz
ungewoͤhnlichen Maaßes ſeiner Handblaͤtter
ſchon etwas mehr als ein andrer im Him-
mel gelten muͤßte. Kaum hatte er nach mei-
ner Meinung das Jammerthal unſeres
Paſtorats mit den ſeeligen Wohnungen der
Gerechten verwechſelt, kaum ſag ich war er
fort; ſo fragt ich meinen Vater was ihm
der gute Freund fuͤr Nachrichten aus dem
Himmel gebracht haͤtte, und mein Vater
nahm Gelegenheit mir die wahren Begriffe
von jener Welt beyzubringen, denen mein

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B 4
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[21/0029] ſerm lieben Doͤrflein, wo ich uͤber jedes Huhn haͤtte urteln koͤnnen, wenn uͤber deſ- ſen Eigenthum ein Streit geweſen waͤre. Manches kam mir freilich ſehr bedenklich vor worunter zum Exempel war, daß man bey ihm zu Hauſe ohne Nacht — oder Un- terhemde ginge und zu ſeiner Zeit lange Manſchetten (die meine Mutter Handblaͤtter nannte) getragen haͤtte. Eines Tages, da ein Litteratus (welches in Curland eben kei- nen Gelehrten ſondern ein unſeelig Mittel- ding von Edelmann und Bauer bedeutet) mit ungewoͤhnlich langen Manſchetten bey uns des Mittags aß; mußte ich glauben, daß er ein Himmelsbuͤrger und Landsmann meines Vaters waͤre und wegen des ganz ungewoͤhnlichen Maaßes ſeiner Handblaͤtter ſchon etwas mehr als ein andrer im Him- mel gelten muͤßte. Kaum hatte er nach mei- ner Meinung das Jammerthal unſeres Paſtorats mit den ſeeligen Wohnungen der Gerechten verwechſelt, kaum ſag ich war er fort; ſo fragt ich meinen Vater was ihm der gute Freund fuͤr Nachrichten aus dem Himmel gebracht haͤtte, und mein Vater nahm Gelegenheit mir die wahren Begriffe von jener Welt beyzubringen, denen mein Herz B 4

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/29>, abgerufen am 21.11.2024.