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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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ches Gesicht mit der Zeit gewohnt wird.
Der Reiche ziehet seine Zinsen in dieser Welt,
und die meiste Zeit mehr, als die landübliche.
Der Arme hebt in diesem Leben seine Zinsen
nicht, sondern läßt sie beym lieben Gott
stehen, der ihm sicher ist, und der ihm seine
Zinsen fein zum Capital schlägt, für die an-
dere Welt. Jeder Reiche fühlt, daß der
Arme, wenn er stirbt, reich wird, es stehen
ihm die Haare hiebey zu Berge, und wenn
es so anginge, würd er dem Armen wohl
zehn tausend Thaler Albertus leihen, um
einen Wechsel auf ihn im Himmel zu haben.
Allein bedencke Reicher! dein Tod ist ein Ban-
kerott -- Mein Sohn! Theil in dieser Gna-
denzeit den Leckerbissen mit dem Dürftigen.
Das beste Mittel, gut zu verdauen ist, einen
Armen essen sehen! Wirf deine Magentro-
pfen zum Fenster hinaus, und brauche dieses
Mittel. Dein Vater. Wenn dir ein Un-
glück begegnet, greift die Seele nach einem
Gelender, wie der Körper nach einem Stab.
Schilt im Podagra auf den Wein, beym
üblen Wetter aufs schlechte Steinpflaster, im
Tode aufs Leben. Was ist der Mensch, wenn
er nicht unsterblich ist Unser Leben währet
siebenzig Jahr, wenns hoch kommt sinds

achtzig

ches Geſicht mit der Zeit gewohnt wird.
Der Reiche ziehet ſeine Zinſen in dieſer Welt,
und die meiſte Zeit mehr, als die landuͤbliche.
Der Arme hebt in dieſem Leben ſeine Zinſen
nicht, ſondern laͤßt ſie beym lieben Gott
ſtehen, der ihm ſicher iſt, und der ihm ſeine
Zinſen fein zum Capital ſchlaͤgt, fuͤr die an-
dere Welt. Jeder Reiche fuͤhlt, daß der
Arme, wenn er ſtirbt, reich wird, es ſtehen
ihm die Haare hiebey zu Berge, und wenn
es ſo anginge, wuͤrd er dem Armen wohl
zehn tauſend Thaler Albertus leihen, um
einen Wechſel auf ihn im Himmel zu haben.
Allein bedencke Reicher! dein Tod iſt ein Ban-
kerott — Mein Sohn! Theil in dieſer Gna-
denzeit den Leckerbiſſen mit dem Duͤrftigen.
Das beſte Mittel, gut zu verdauen iſt, einen
Armen eſſen ſehen! Wirf deine Magentro-
pfen zum Fenſter hinaus, und brauche dieſes
Mittel. Dein Vater. Wenn dir ein Un-
gluͤck begegnet, greift die Seele nach einem
Gelender, wie der Koͤrper nach einem Stab.
Schilt im Podagra auf den Wein, beym
uͤblen Wetter aufs ſchlechte Steinpflaſter, im
Tode aufs Leben. Was iſt der Menſch, wenn
er nicht unſterblich iſt Unſer Leben waͤhret
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[315/0327] ches Geſicht mit der Zeit gewohnt wird. Der Reiche ziehet ſeine Zinſen in dieſer Welt, und die meiſte Zeit mehr, als die landuͤbliche. Der Arme hebt in dieſem Leben ſeine Zinſen nicht, ſondern laͤßt ſie beym lieben Gott ſtehen, der ihm ſicher iſt, und der ihm ſeine Zinſen fein zum Capital ſchlaͤgt, fuͤr die an- dere Welt. Jeder Reiche fuͤhlt, daß der Arme, wenn er ſtirbt, reich wird, es ſtehen ihm die Haare hiebey zu Berge, und wenn es ſo anginge, wuͤrd er dem Armen wohl zehn tauſend Thaler Albertus leihen, um einen Wechſel auf ihn im Himmel zu haben. Allein bedencke Reicher! dein Tod iſt ein Ban- kerott — Mein Sohn! Theil in dieſer Gna- denzeit den Leckerbiſſen mit dem Duͤrftigen. Das beſte Mittel, gut zu verdauen iſt, einen Armen eſſen ſehen! Wirf deine Magentro- pfen zum Fenſter hinaus, und brauche dieſes Mittel. Dein Vater. Wenn dir ein Un- gluͤck begegnet, greift die Seele nach einem Gelender, wie der Koͤrper nach einem Stab. Schilt im Podagra auf den Wein, beym uͤblen Wetter aufs ſchlechte Steinpflaſter, im Tode aufs Leben. Was iſt der Menſch, wenn er nicht unſterblich iſt Unſer Leben waͤhret ſiebenzig Jahr, wenns hoch kommt ſinds achtzig

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/327>, abgerufen am 22.11.2024.