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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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Vater. Ich glaube keinem Gereisten, wenn
er von den Menschen spricht. Unsere meisten
Reisebeschreiber zeichnen das Zimmer, wo
sie abgetreten, die Wirthin oder ihre Tochter,
den Herrn Wirth oder seinen Wildfang vom
Sohn. Eh'r wolt ich aus dem Hervorgeruch
der Apothecken, wenn ich vorbey gehe, schlie-
ßen, was für Krankheiten in Stadt und
Land gang und gäbe sind. Aus einem
Wirthshause geht der Weg in die Welt;
allein nicht in die Nation. Reisende, selbst
Entdecker neuer Völcker, solten nur erzählen,
was sie gesehen und gehört, was ihnen vor-
gekommen und vorgefallen, ohne Vor- und
Nachklang; denn was thut man nicht, einem
guten Einfall, einer Wendung, einem Lieb-
lingsgedancken zu gefallen. Dem Beschrei-
ber sind keine Glocken zu gestatten; er muß
nie lauten laßen. --
Ich. So wärs wol am besten, daß Je-
mand aus dem Volcke selbst das Volk be-
schriebe.
Vater. Ja, wenn er gereiset ist, ohne
an eine Reisebeschreibung fremder Länder
gedacht zu haben, wenn er kein Amt und
doch zu leben hat, wenn -- und noch viele
Wenns --

Herr
Vater. Ich glaube keinem Gereiſten, wenn
er von den Menſchen ſpricht. Unſere meiſten
Reiſebeſchreiber zeichnen das Zimmer, wo
ſie abgetreten, die Wirthin oder ihre Tochter,
den Herrn Wirth oder ſeinen Wildfang vom
Sohn. Eh’r wolt ich aus dem Hervorgeruch
der Apothecken, wenn ich vorbey gehe, ſchlie-
ßen, was fuͤr Krankheiten in Stadt und
Land gang und gaͤbe ſind. Aus einem
Wirthshauſe geht der Weg in die Welt;
allein nicht in die Nation. Reiſende, ſelbſt
Entdecker neuer Voͤlcker, ſolten nur erzaͤhlen,
was ſie geſehen und gehoͤrt, was ihnen vor-
gekommen und vorgefallen, ohne Vor- und
Nachklang; denn was thut man nicht, einem
guten Einfall, einer Wendung, einem Lieb-
lingsgedancken zu gefallen. Dem Beſchrei-
ber ſind keine Glocken zu geſtatten; er muß
nie lauten laßen. —
Ich. So waͤrs wol am beſten, daß Je-
mand aus dem Volcke ſelbſt das Volk be-
ſchriebe.
Vater. Ja, wenn er gereiſet iſt, ohne
an eine Reiſebeſchreibung fremder Laͤnder
gedacht zu haben, wenn er kein Amt und
doch zu leben hat, wenn — und noch viele
Wenns —

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[400/0412] Vater. Ich glaube keinem Gereiſten, wenn er von den Menſchen ſpricht. Unſere meiſten Reiſebeſchreiber zeichnen das Zimmer, wo ſie abgetreten, die Wirthin oder ihre Tochter, den Herrn Wirth oder ſeinen Wildfang vom Sohn. Eh’r wolt ich aus dem Hervorgeruch der Apothecken, wenn ich vorbey gehe, ſchlie- ßen, was fuͤr Krankheiten in Stadt und Land gang und gaͤbe ſind. Aus einem Wirthshauſe geht der Weg in die Welt; allein nicht in die Nation. Reiſende, ſelbſt Entdecker neuer Voͤlcker, ſolten nur erzaͤhlen, was ſie geſehen und gehoͤrt, was ihnen vor- gekommen und vorgefallen, ohne Vor- und Nachklang; denn was thut man nicht, einem guten Einfall, einer Wendung, einem Lieb- lingsgedancken zu gefallen. Dem Beſchrei- ber ſind keine Glocken zu geſtatten; er muß nie lauten laßen. — Ich. So waͤrs wol am beſten, daß Je- mand aus dem Volcke ſelbſt das Volk be- ſchriebe. Vater. Ja, wenn er gereiſet iſt, ohne an eine Reiſebeſchreibung fremder Laͤnder gedacht zu haben, wenn er kein Amt und doch zu leben hat, wenn — und noch viele Wenns — Herr

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/412>, abgerufen am 24.11.2024.