ihren Gatten schnäbelt. Charlotte sah den Habicht ganz allein, und mithin wußt' ihr Mann nicht, was ihr war! -- Sie hatte keine Kinder, und Charlotte ward allgemein für eine Person erkläret, die schwermüthig wäre. Besonders äußerte sich dieser Trüb- sinn, wenn sie was blankes sah; es müßte denn durch die Sonne vergüldet seyn, sonst konnte sie nichts schimmerndes ohne Thrä- nen ansehen. Ihr Silber und Zinn muß- te nicht glänzend gemacht werden. Am liebsten aß sie von Holz. -- Man verschloß so gar Scheer und Messer eine zeitlang. Ein Schrecken war das einzigste, was Charlotten ins Lachen bringen konnte. Ihr Lachen hielte man vor Hitze, so wie ihre Thränen vor Frost, bis man mit ihrer Art bekannter ward, und Messer und Scheere wieder aufschloß.
Charlotte konnte keine Kinder ausstehen; allein wenn sie heimlich den einzigen Sohn unsers Bekannten habhaft werden konnte, drückte sie ihn fest an ihr Herz. Es war rüh- rend anzusehen. -- Unser Bekannte hatte das Glück, sich zu überreden, Charlotte sey nicht seinet, sondern ihres einzigen Mannes wegen, schwermüthig. Es war Charlottens Mann der beste Mann in der Welt; indessen
ward
ihren Gatten ſchnaͤbelt. Charlotte ſah den Habicht ganz allein, und mithin wußt’ ihr Mann nicht, was ihr war! — Sie hatte keine Kinder, und Charlotte ward allgemein fuͤr eine Perſon erklaͤret, die ſchwermuͤthig waͤre. Beſonders aͤußerte ſich dieſer Truͤb- ſinn, wenn ſie was blankes ſah; es muͤßte denn durch die Sonne verguͤldet ſeyn, ſonſt konnte ſie nichts ſchimmerndes ohne Thraͤ- nen anſehen. Ihr Silber und Zinn muß- te nicht glaͤnzend gemacht werden. Am liebſten aß ſie von Holz. — Man verſchloß ſo gar Scheer und Meſſer eine zeitlang. Ein Schrecken war das einzigſte, was Charlotten ins Lachen bringen konnte. Ihr Lachen hielte man vor Hitze, ſo wie ihre Thraͤnen vor Froſt, bis man mit ihrer Art bekannter ward, und Meſſer und Scheere wieder aufſchloß.
Charlotte konnte keine Kinder ausſtehen; allein wenn ſie heimlich den einzigen Sohn unſers Bekannten habhaft werden konnte, druͤckte ſie ihn feſt an ihr Herz. Es war ruͤh- rend anzuſehen. — Unſer Bekannte hatte das Gluͤck, ſich zu uͤberreden, Charlotte ſey nicht ſeinet, ſondern ihres einzigen Mannes wegen, ſchwermuͤthig. Es war Charlottens Mann der beſte Mann in der Welt; indeſſen
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ihren Gatten ſchnaͤbelt. Charlotte ſah den
Habicht ganz allein, und mithin wußt’ ihr
Mann nicht, was ihr war! — Sie hatte
keine Kinder, und Charlotte ward allgemein
fuͤr eine Perſon erklaͤret, die ſchwermuͤthig
waͤre. Beſonders aͤußerte ſich dieſer Truͤb-
ſinn, wenn ſie was blankes ſah; es muͤßte
denn durch die Sonne verguͤldet ſeyn, ſonſt
konnte ſie nichts ſchimmerndes ohne Thraͤ-
nen anſehen. Ihr Silber und Zinn muß-
te nicht glaͤnzend gemacht werden. Am
liebſten aß ſie von Holz. — Man verſchloß
ſo gar Scheer und Meſſer eine zeitlang. Ein
Schrecken war das einzigſte, was Charlotten
ins Lachen bringen konnte. Ihr Lachen hielte
man vor Hitze, ſo wie ihre Thraͤnen vor
Froſt, bis man mit ihrer Art bekannter ward,
und Meſſer und Scheere wieder aufſchloß.
Charlotte konnte keine Kinder ausſtehen;
allein wenn ſie heimlich den einzigen Sohn
unſers Bekannten habhaft werden konnte,
druͤckte ſie ihn feſt an ihr Herz. Es war ruͤh-
rend anzuſehen. — Unſer Bekannte hatte
das Gluͤck, ſich zu uͤberreden, Charlotte ſey
nicht ſeinet, ſondern ihres einzigen Mannes
wegen, ſchwermuͤthig. Es war Charlottens
Mann der beſte Mann in der Welt; indeſſen
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/100>, abgerufen am 23.11.2024.
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