Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

ihren Gatten schnäbelt. Charlotte sah den
Habicht ganz allein, und mithin wußt' ihr
Mann nicht, was ihr war! -- Sie hatte
keine Kinder, und Charlotte ward allgemein
für eine Person erkläret, die schwermüthig
wäre. Besonders äußerte sich dieser Trüb-
sinn, wenn sie was blankes sah; es müßte
denn durch die Sonne vergüldet seyn, sonst
konnte sie nichts schimmerndes ohne Thrä-
nen ansehen. Ihr Silber und Zinn muß-
te nicht glänzend gemacht werden. Am
liebsten aß sie von Holz. -- Man verschloß
so gar Scheer und Messer eine zeitlang. Ein
Schrecken war das einzigste, was Charlotten
ins Lachen bringen konnte. Ihr Lachen hielte
man vor Hitze, so wie ihre Thränen vor
Frost, bis man mit ihrer Art bekannter ward,
und Messer und Scheere wieder aufschloß.

Charlotte konnte keine Kinder ausstehen;
allein wenn sie heimlich den einzigen Sohn
unsers Bekannten habhaft werden konnte,
drückte sie ihn fest an ihr Herz. Es war rüh-
rend anzusehen. -- Unser Bekannte hatte
das Glück, sich zu überreden, Charlotte sey
nicht seinet, sondern ihres einzigen Mannes
wegen, schwermüthig. Es war Charlottens
Mann der beste Mann in der Welt; indessen

ward

ihren Gatten ſchnaͤbelt. Charlotte ſah den
Habicht ganz allein, und mithin wußt’ ihr
Mann nicht, was ihr war! — Sie hatte
keine Kinder, und Charlotte ward allgemein
fuͤr eine Perſon erklaͤret, die ſchwermuͤthig
waͤre. Beſonders aͤußerte ſich dieſer Truͤb-
ſinn, wenn ſie was blankes ſah; es muͤßte
denn durch die Sonne verguͤldet ſeyn, ſonſt
konnte ſie nichts ſchimmerndes ohne Thraͤ-
nen anſehen. Ihr Silber und Zinn muß-
te nicht glaͤnzend gemacht werden. Am
liebſten aß ſie von Holz. — Man verſchloß
ſo gar Scheer und Meſſer eine zeitlang. Ein
Schrecken war das einzigſte, was Charlotten
ins Lachen bringen konnte. Ihr Lachen hielte
man vor Hitze, ſo wie ihre Thraͤnen vor
Froſt, bis man mit ihrer Art bekannter ward,
und Meſſer und Scheere wieder aufſchloß.

Charlotte konnte keine Kinder ausſtehen;
allein wenn ſie heimlich den einzigen Sohn
unſers Bekannten habhaft werden konnte,
druͤckte ſie ihn feſt an ihr Herz. Es war ruͤh-
rend anzuſehen. — Unſer Bekannte hatte
das Gluͤck, ſich zu uͤberreden, Charlotte ſey
nicht ſeinet, ſondern ihres einzigen Mannes
wegen, ſchwermuͤthig. Es war Charlottens
Mann der beſte Mann in der Welt; indeſſen

ward
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0100" n="94"/>
ihren Gatten &#x017F;chna&#x0364;belt. Charlotte &#x017F;ah den<lb/>
Habicht ganz allein, und mithin wußt&#x2019; ihr<lb/>
Mann nicht, was ihr war! &#x2014; Sie hatte<lb/>
keine Kinder, und Charlotte ward allgemein<lb/>
fu&#x0364;r eine Per&#x017F;on erkla&#x0364;ret, die &#x017F;chwermu&#x0364;thig<lb/>
wa&#x0364;re. Be&#x017F;onders a&#x0364;ußerte &#x017F;ich die&#x017F;er Tru&#x0364;b-<lb/>
&#x017F;inn, wenn &#x017F;ie was blankes &#x017F;ah; es mu&#x0364;ßte<lb/>
denn durch die Sonne vergu&#x0364;ldet &#x017F;eyn, &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
konnte &#x017F;ie nichts &#x017F;chimmerndes ohne Thra&#x0364;-<lb/>
nen an&#x017F;ehen. Ihr Silber und Zinn muß-<lb/>
te nicht gla&#x0364;nzend gemacht werden. Am<lb/>
lieb&#x017F;ten aß &#x017F;ie von Holz. &#x2014; Man ver&#x017F;chloß<lb/>
&#x017F;o gar Scheer und Me&#x017F;&#x017F;er eine zeitlang. Ein<lb/>
Schrecken war das einzig&#x017F;te, was Charlotten<lb/>
ins Lachen bringen konnte. Ihr Lachen hielte<lb/>
man vor Hitze, &#x017F;o wie ihre Thra&#x0364;nen vor<lb/>
Fro&#x017F;t, bis man mit ihrer Art bekannter ward,<lb/>
und Me&#x017F;&#x017F;er und Scheere wieder auf&#x017F;chloß.</p><lb/>
        <p>Charlotte konnte keine Kinder aus&#x017F;tehen;<lb/>
allein wenn &#x017F;ie heimlich den einzigen Sohn<lb/>
un&#x017F;ers Bekannten habhaft werden konnte,<lb/>
dru&#x0364;ckte &#x017F;ie ihn fe&#x017F;t an ihr Herz. Es war ru&#x0364;h-<lb/>
rend anzu&#x017F;ehen. &#x2014; Un&#x017F;er Bekannte hatte<lb/>
das Glu&#x0364;ck, &#x017F;ich zu u&#x0364;berreden, Charlotte &#x017F;ey<lb/>
nicht &#x017F;einet, &#x017F;ondern ihres einzigen Mannes<lb/>
wegen, &#x017F;chwermu&#x0364;thig. Es war Charlottens<lb/>
Mann der be&#x017F;te Mann in der Welt; inde&#x017F;&#x017F;en<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ward</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0100] ihren Gatten ſchnaͤbelt. Charlotte ſah den Habicht ganz allein, und mithin wußt’ ihr Mann nicht, was ihr war! — Sie hatte keine Kinder, und Charlotte ward allgemein fuͤr eine Perſon erklaͤret, die ſchwermuͤthig waͤre. Beſonders aͤußerte ſich dieſer Truͤb- ſinn, wenn ſie was blankes ſah; es muͤßte denn durch die Sonne verguͤldet ſeyn, ſonſt konnte ſie nichts ſchimmerndes ohne Thraͤ- nen anſehen. Ihr Silber und Zinn muß- te nicht glaͤnzend gemacht werden. Am liebſten aß ſie von Holz. — Man verſchloß ſo gar Scheer und Meſſer eine zeitlang. Ein Schrecken war das einzigſte, was Charlotten ins Lachen bringen konnte. Ihr Lachen hielte man vor Hitze, ſo wie ihre Thraͤnen vor Froſt, bis man mit ihrer Art bekannter ward, und Meſſer und Scheere wieder aufſchloß. Charlotte konnte keine Kinder ausſtehen; allein wenn ſie heimlich den einzigen Sohn unſers Bekannten habhaft werden konnte, druͤckte ſie ihn feſt an ihr Herz. Es war ruͤh- rend anzuſehen. — Unſer Bekannte hatte das Gluͤck, ſich zu uͤberreden, Charlotte ſey nicht ſeinet, ſondern ihres einzigen Mannes wegen, ſchwermuͤthig. Es war Charlottens Mann der beſte Mann in der Welt; indeſſen ward

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/100
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/100>, abgerufen am 23.11.2024.