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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Weib war ihm unerträglich, und er sich noch
unerträglicher, weil sie's ihm war. Sein
einziger Umgang war mit dem Manne seiner
Charlotte, der ihm alles haarklein erzählen
mußte, was unser Bekannter, nachdem er
zur Erkenntniß der Sünden gekommen war,
besser verstand, als sein Freund. Die Lau-
be, welche er gepflanzet und Charlotte begos-
sen, war ihm fürchterlich finster worden; in-
dessen gieng die Sonne keinen Tag unter, wo
er sie nicht besuchte. Er suchte Charlotten
drinn und weinte. Er, der ehemals mit
dem Frühling um die Wette blühte, konnt',
außer dem Herbst, keine Jahreszeit ausstehen.
Abgefallenes Laub sah er lieber, als eine Ro-
senknospe, und wenn er einen verdorreten
Baum fand, setzt' er sich unter ihn: er war
ihm der liebste. --

Gott hat mich verstoßen, seufzt' er zu-
weilen, und niemand konnt' ihn seufzen hö-
ren, ohn ihn herzlich zu bedauren, -- das
bracht' einen neuen Seufzer hervor. Wenn
er zum Nachtmahl gieng, weint' er so, als
wenn er unter den Kriegsknechten gewesen
wäre, und jetzo öffentliche Kirchenbuße thäte.
Er war stets zerschlagenen zerrißenen Herzens.
Sein ganzes Leben war eine immerwährende

Lita-

Weib war ihm unertraͤglich, und er ſich noch
unertraͤglicher, weil ſie’s ihm war. Sein
einziger Umgang war mit dem Manne ſeiner
Charlotte, der ihm alles haarklein erzaͤhlen
mußte, was unſer Bekannter, nachdem er
zur Erkenntniß der Suͤnden gekommen war,
beſſer verſtand, als ſein Freund. Die Lau-
be, welche er gepflanzet und Charlotte begoſ-
ſen, war ihm fuͤrchterlich finſter worden; in-
deſſen gieng die Sonne keinen Tag unter, wo
er ſie nicht beſuchte. Er ſuchte Charlotten
drinn und weinte. Er, der ehemals mit
dem Fruͤhling um die Wette bluͤhte, konnt’,
außer dem Herbſt, keine Jahreszeit ausſtehen.
Abgefallenes Laub ſah er lieber, als eine Ro-
ſenknoſpe, und wenn er einen verdorreten
Baum fand, ſetzt’ er ſich unter ihn: er war
ihm der liebſte. —

Gott hat mich verſtoßen, ſeufzt’ er zu-
weilen, und niemand konnt’ ihn ſeufzen hoͤ-
ren, ohn ihn herzlich zu bedauren, — das
bracht’ einen neuen Seufzer hervor. Wenn
er zum Nachtmahl gieng, weint’ er ſo, als
wenn er unter den Kriegsknechten geweſen
waͤre, und jetzo oͤffentliche Kirchenbuße thaͤte.
Er war ſtets zerſchlagenen zerrißenen Herzens.
Sein ganzes Leben war eine immerwaͤhrende

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[100/0106] Weib war ihm unertraͤglich, und er ſich noch unertraͤglicher, weil ſie’s ihm war. Sein einziger Umgang war mit dem Manne ſeiner Charlotte, der ihm alles haarklein erzaͤhlen mußte, was unſer Bekannter, nachdem er zur Erkenntniß der Suͤnden gekommen war, beſſer verſtand, als ſein Freund. Die Lau- be, welche er gepflanzet und Charlotte begoſ- ſen, war ihm fuͤrchterlich finſter worden; in- deſſen gieng die Sonne keinen Tag unter, wo er ſie nicht beſuchte. Er ſuchte Charlotten drinn und weinte. Er, der ehemals mit dem Fruͤhling um die Wette bluͤhte, konnt’, außer dem Herbſt, keine Jahreszeit ausſtehen. Abgefallenes Laub ſah er lieber, als eine Ro- ſenknoſpe, und wenn er einen verdorreten Baum fand, ſetzt’ er ſich unter ihn: er war ihm der liebſte. — Gott hat mich verſtoßen, ſeufzt’ er zu- weilen, und niemand konnt’ ihn ſeufzen hoͤ- ren, ohn ihn herzlich zu bedauren, — das bracht’ einen neuen Seufzer hervor. Wenn er zum Nachtmahl gieng, weint’ er ſo, als wenn er unter den Kriegsknechten geweſen waͤre, und jetzo oͤffentliche Kirchenbuße thaͤte. Er war ſtets zerſchlagenen zerrißenen Herzens. Sein ganzes Leben war eine immerwaͤhrende Lita-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/106>, abgerufen am 24.11.2024.