es sich freylich wol zu, daß dem Geistlichen, dem Besucher, etwas in die Hand gedrückt wird. -- Unser Todte! das wett' ich, nicht also! --
Wohl dem! rief unser Pfarrer aus, wohl dem, der so lang er mit seinem Bruder auf dem Weg' ist, das heißt: so lange sie beyde die Straße dieses Lebens gehen, ihm ersetzt, was er ihm unrecht gethan, den abbittet, den er beleidiget; den in integrum restituirt, den er beschädiget hat. Wohl dem! der alles mit warmer Hand abträgt; denn wie leicht kann der Gläubiger sterben? und die Erse- tzung ist alsdenn nicht möglich; wie leicht kann der Lebenslauf des Schuldners gehemmt werden, und wie leicht kann es kommen, daß sie aufhören, einen und denselben Weg zu wandeln! Weh' alsdenn dem Schuld- ner! Alles ist aus! -- Er kann nicht mehr bezahlen, so gern er auch wolte. Seine Münze galt nur in dieser Welt, mit einem ewigen Vorwurf geht er in die Ewigkeit über. Diese Stell überwog die ganze Predigt. Wer sie lieset, der merke drauf; so lang er eine warme Hand hat, so lang er noch auf dem Wege mit seinem Gläubiger ist, und mit ihm lebensläuft! --
Es
es ſich freylich wol zu, daß dem Geiſtlichen, dem Beſucher, etwas in die Hand gedruͤckt wird. — Unſer Todte! das wett’ ich, nicht alſo! —
Wohl dem! rief unſer Pfarrer aus, wohl dem, der ſo lang er mit ſeinem Bruder auf dem Weg’ iſt, das heißt: ſo lange ſie beyde die Straße dieſes Lebens gehen, ihm erſetzt, was er ihm unrecht gethan, den abbittet, den er beleidiget; den in integrum reſtituirt, den er beſchaͤdiget hat. Wohl dem! der alles mit warmer Hand abtraͤgt; denn wie leicht kann der Glaͤubiger ſterben? und die Erſe- tzung iſt alsdenn nicht moͤglich; wie leicht kann der Lebenslauf des Schuldners gehemmt werden, und wie leicht kann es kommen, daß ſie aufhoͤren, einen und denſelben Weg zu wandeln! Weh’ alsdenn dem Schuld- ner! Alles iſt aus! — Er kann nicht mehr bezahlen, ſo gern er auch wolte. Seine Muͤnze galt nur in dieſer Welt, mit einem ewigen Vorwurf geht er in die Ewigkeit uͤber. Dieſe Stell uͤberwog die ganze Predigt. Wer ſie lieſet, der merke drauf; ſo lang er eine warme Hand hat, ſo lang er noch auf dem Wege mit ſeinem Glaͤubiger iſt, und mit ihm lebenslaͤuft! —
Es
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es ſich freylich wol zu, daß dem Geiſtlichen,
dem Beſucher, etwas in die Hand gedruͤckt
wird. — Unſer Todte! das wett’ ich, nicht
alſo! —
Wohl dem! rief unſer Pfarrer aus, wohl
dem, der ſo lang er mit ſeinem Bruder auf
dem Weg’ iſt, das heißt: ſo lange ſie beyde
die Straße dieſes Lebens gehen, ihm erſetzt,
was er ihm unrecht gethan, den abbittet, den
er beleidiget; den in integrum reſtituirt, den
er beſchaͤdiget hat. Wohl dem! der alles
mit warmer Hand abtraͤgt; denn wie leicht
kann der Glaͤubiger ſterben? und die Erſe-
tzung iſt alsdenn nicht moͤglich; wie leicht
kann der Lebenslauf des Schuldners gehemmt
werden, und wie leicht kann es kommen,
daß ſie aufhoͤren, einen und denſelben Weg zu
wandeln! Weh’ alsdenn dem Schuld-
ner! Alles iſt aus! — Er kann nicht mehr
bezahlen, ſo gern er auch wolte. Seine
Muͤnze galt nur in dieſer Welt, mit einem
ewigen Vorwurf geht er in die Ewigkeit uͤber.
Dieſe Stell uͤberwog die ganze Predigt. Wer
ſie lieſet, der merke drauf; ſo lang er eine
warme Hand hat, ſo lang er noch auf dem
Wege mit ſeinem Glaͤubiger iſt, und mit
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/198>, abgerufen am 23.11.2024.
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