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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Dies verfolgte unglückselige Mädchen
entschloß sich in den Armen meiner Mutter
eine Freystadt zu suchen. Sie war aufs äus-
serste gebracht. Es schrieb an sie. Den Brief
hat Mine mir nie gezeigt. Es ist deine Mutter!
schrieb die Holdselige, und machte einen --

Ehe sie aber diesen Brief abschicken konnte,
siehe da! ein Brief von meiner Mutter an
Minen. Die Würkung des Uriasbriefes und
seiner Beylage. Dieser Brief fieng sich an:

"Es will verlauten, daß Sie meinen
"Sohn verführet hätten und noch verführen
"--" und schon dieser Anfang lehret, daß
meine Mutter dem Uriasbriefe seine Schliche
abgemerket und den Verfasser für das, was
er war -- einen Schwarzkünstler, gehalten.
Sie glaubte sein Hokuspokus vom lebendigen
Andenken nicht; allein anstatt daß sie der
verfolgten Mine, ihrer so wohlgerathenen
Schwiegertochter, die Hand geben und sie in
Schutz nehmen sollen, was that sie? Sie
verschwieg diesen ganzen Vorgang meinem
Vater! und wenn ich ihren Brief ganz mei-
nen Lesern mittheilen solte; würd' ich der Ach-
tung zu nahe treten, die ich meiner Mutter
schuldig bin. Sie ließ Minen, aus besonderer
Milde, Vorzüge; nur den konnte sie ihr nicht

zuge-

Dies verfolgte ungluͤckſelige Maͤdchen
entſchloß ſich in den Armen meiner Mutter
eine Freyſtadt zu ſuchen. Sie war aufs aͤuſ-
ſerſte gebracht. Es ſchrieb an ſie. Den Brief
hat Mine mir nie gezeigt. Es iſt deine Mutter!
ſchrieb die Holdſelige, und machte einen —

Ehe ſie aber dieſen Brief abſchicken konnte,
ſiehe da! ein Brief von meiner Mutter an
Minen. Die Wuͤrkung des Uriasbriefes und
ſeiner Beylage. Dieſer Brief fieng ſich an:

„Es will verlauten, daß Sie meinen
„Sohn verfuͤhret haͤtten und noch verfuͤhren
„—„ und ſchon dieſer Anfang lehret, daß
meine Mutter dem Uriasbriefe ſeine Schliche
abgemerket und den Verfaſſer fuͤr das, was
er war — einen Schwarzkuͤnſtler, gehalten.
Sie glaubte ſein Hokuspokus vom lebendigen
Andenken nicht; allein anſtatt daß ſie der
verfolgten Mine, ihrer ſo wohlgerathenen
Schwiegertochter, die Hand geben und ſie in
Schutz nehmen ſollen, was that ſie? Sie
verſchwieg dieſen ganzen Vorgang meinem
Vater! und wenn ich ihren Brief ganz mei-
nen Leſern mittheilen ſolte; wuͤrd’ ich der Ach-
tung zu nahe treten, die ich meiner Mutter
ſchuldig bin. Sie ließ Minen, aus beſonderer
Milde, Vorzuͤge; nur den konnte ſie ihr nicht

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[332/0340] Dies verfolgte ungluͤckſelige Maͤdchen entſchloß ſich in den Armen meiner Mutter eine Freyſtadt zu ſuchen. Sie war aufs aͤuſ- ſerſte gebracht. Es ſchrieb an ſie. Den Brief hat Mine mir nie gezeigt. Es iſt deine Mutter! ſchrieb die Holdſelige, und machte einen — Ehe ſie aber dieſen Brief abſchicken konnte, ſiehe da! ein Brief von meiner Mutter an Minen. Die Wuͤrkung des Uriasbriefes und ſeiner Beylage. Dieſer Brief fieng ſich an: „Es will verlauten, daß Sie meinen „Sohn verfuͤhret haͤtten und noch verfuͤhren „—„ und ſchon dieſer Anfang lehret, daß meine Mutter dem Uriasbriefe ſeine Schliche abgemerket und den Verfaſſer fuͤr das, was er war — einen Schwarzkuͤnſtler, gehalten. Sie glaubte ſein Hokuspokus vom lebendigen Andenken nicht; allein anſtatt daß ſie der verfolgten Mine, ihrer ſo wohlgerathenen Schwiegertochter, die Hand geben und ſie in Schutz nehmen ſollen, was that ſie? Sie verſchwieg dieſen ganzen Vorgang meinem Vater! und wenn ich ihren Brief ganz mei- nen Leſern mittheilen ſolte; wuͤrd’ ich der Ach- tung zu nahe treten, die ich meiner Mutter ſchuldig bin. Sie ließ Minen, aus beſonderer Milde, Vorzuͤge; nur den konnte ſie ihr nicht zuge-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/340>, abgerufen am 22.11.2024.