Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

O Gott! wohin kann die Tugend kommen?
Mine war entschlossen, sich das Leben zu
nehmen, wenn man Gewalt brauchen sollte.
Freylich würd ein' Casuist feiner distinguirt,
und die Grenze richtiger abgemessen haben,
wenn und zu welcher Zeit -- allein Gott
der Herr läßt nicht durch Casuisten Recht
sprechen und -- Sein Richter ist das Gewissen,
sein Urtel nicht: in Sachen -- entgegen
erkennen und sprechen wir,
sondern:
kommt und geht! Ich will in Gottes Hände
fallen! Er ist gerecht, er ist barmherzig! Sie
warf sich zur Erde und betet' an, den der
gemacht hat Himmel und Erde, sie bat um
Hofnung der Seligkeit, wenn sie eine Selbst-
mörderin würde, um Verzeihung, wenn sie
in der Art fehle! Sie betete: so du wilt
Herr! Sünde zurechnen, Herr, wer kann,
wer wird bestehen! Bey dir ist die Verge-
bung -- und nach einer Weile: "erforsche
mich, Herr, und, prüfe wie ich's meyne,
wie ich's meyne! Sieh ob ich auf falschem
Wege bin, und leite mich, führe mich zu-
recht, auf den Weg zum Leben! Laß, wenn
ich irre, Gnade für Recht ergehen! Gnade!
Gnade! Wenn diese Hand! Mörder an die-
sem Herzen wird, und es durchbohrt -- o

Gott!
A a 5

O Gott! wohin kann die Tugend kommen?
Mine war entſchloſſen, ſich das Leben zu
nehmen, wenn man Gewalt brauchen ſollte.
Freylich wuͤrd ein’ Caſuiſt feiner diſtinguirt,
und die Grenze richtiger abgemeſſen haben,
wenn und zu welcher Zeit — allein Gott
der Herr laͤßt nicht durch Caſuiſten Recht
ſprechen und — Sein Richter iſt das Gewiſſen,
ſein Urtel nicht: in Sachen — entgegen
erkennen und ſprechen wir,
ſondern:
kommt und geht! Ich will in Gottes Haͤnde
fallen! Er iſt gerecht, er iſt barmherzig! Sie
warf ſich zur Erde und betet’ an, den der
gemacht hat Himmel und Erde, ſie bat um
Hofnung der Seligkeit, wenn ſie eine Selbſt-
moͤrderin wuͤrde, um Verzeihung, wenn ſie
in der Art fehle! Sie betete: ſo du wilt
Herr! Suͤnde zurechnen, Herr, wer kann,
wer wird beſtehen! Bey dir iſt die Verge-
bung — und nach einer Weile: „erforſche
mich, Herr, und, pruͤfe wie ich’s meyne,
wie ich’s meyne! Sieh ob ich auf falſchem
Wege bin, und leite mich, fuͤhre mich zu-
recht, auf den Weg zum Leben! Laß, wenn
ich irre, Gnade fuͤr Recht ergehen! Gnade!
Gnade! Wenn dieſe Hand! Moͤrder an die-
ſem Herzen wird, und es durchbohrt — o

Gott!
A a 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0385" n="377"/>
          <p>O Gott! wohin kann die Tugend kommen?<lb/>
Mine war ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ich das Leben zu<lb/>
nehmen, wenn man Gewalt brauchen &#x017F;ollte.<lb/>
Freylich wu&#x0364;rd ein&#x2019; Ca&#x017F;ui&#x017F;t feiner di&#x017F;tinguirt,<lb/>
und die Grenze richtiger abgeme&#x017F;&#x017F;en haben,<lb/>
wenn und zu welcher Zeit &#x2014; allein Gott<lb/>
der Herr la&#x0364;ßt nicht durch Ca&#x017F;ui&#x017F;ten Recht<lb/>
&#x017F;prechen und &#x2014; Sein Richter i&#x017F;t das Gewi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;ein Urtel nicht: <hi rendition="#fr">in Sachen &#x2014; entgegen<lb/>
erkennen und &#x017F;prechen wir,</hi> &#x017F;ondern:<lb/><hi rendition="#fr">kommt und geht!</hi> Ich will in Gottes Ha&#x0364;nde<lb/>
fallen! Er i&#x017F;t gerecht, er i&#x017F;t barmherzig! Sie<lb/>
warf &#x017F;ich zur Erde und betet&#x2019; an, den der<lb/>
gemacht hat Himmel und Erde, &#x017F;ie bat um<lb/>
Hofnung der Seligkeit, wenn &#x017F;ie eine Selb&#x017F;t-<lb/>
mo&#x0364;rderin wu&#x0364;rde, um Verzeihung, wenn &#x017F;ie<lb/>
in der Art fehle! Sie betete: &#x017F;o du wilt<lb/>
Herr! Su&#x0364;nde zurechnen, Herr, wer kann,<lb/>
wer wird be&#x017F;tehen! Bey dir i&#x017F;t die Verge-<lb/>
bung &#x2014; und nach einer Weile: &#x201E;erfor&#x017F;che<lb/>
mich, Herr, und, pru&#x0364;fe wie ich&#x2019;s meyne,<lb/>
wie ich&#x2019;s meyne! Sieh ob ich auf fal&#x017F;chem<lb/>
Wege bin, und leite mich, fu&#x0364;hre mich zu-<lb/>
recht, auf den Weg zum Leben! Laß, wenn<lb/>
ich irre, Gnade fu&#x0364;r Recht ergehen! Gnade!<lb/>
Gnade! Wenn die&#x017F;e Hand! Mo&#x0364;rder an die-<lb/>
&#x017F;em Herzen wird, und es durchbohrt &#x2014; o<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A a 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Gott!</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[377/0385] O Gott! wohin kann die Tugend kommen? Mine war entſchloſſen, ſich das Leben zu nehmen, wenn man Gewalt brauchen ſollte. Freylich wuͤrd ein’ Caſuiſt feiner diſtinguirt, und die Grenze richtiger abgemeſſen haben, wenn und zu welcher Zeit — allein Gott der Herr laͤßt nicht durch Caſuiſten Recht ſprechen und — Sein Richter iſt das Gewiſſen, ſein Urtel nicht: in Sachen — entgegen erkennen und ſprechen wir, ſondern: kommt und geht! Ich will in Gottes Haͤnde fallen! Er iſt gerecht, er iſt barmherzig! Sie warf ſich zur Erde und betet’ an, den der gemacht hat Himmel und Erde, ſie bat um Hofnung der Seligkeit, wenn ſie eine Selbſt- moͤrderin wuͤrde, um Verzeihung, wenn ſie in der Art fehle! Sie betete: ſo du wilt Herr! Suͤnde zurechnen, Herr, wer kann, wer wird beſtehen! Bey dir iſt die Verge- bung — und nach einer Weile: „erforſche mich, Herr, und, pruͤfe wie ich’s meyne, wie ich’s meyne! Sieh ob ich auf falſchem Wege bin, und leite mich, fuͤhre mich zu- recht, auf den Weg zum Leben! Laß, wenn ich irre, Gnade fuͤr Recht ergehen! Gnade! Gnade! Wenn dieſe Hand! Moͤrder an die- ſem Herzen wird, und es durchbohrt — o Gott! A a 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/385
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/385>, abgerufen am 22.11.2024.