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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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setzte sie sich auf. Alles verstand sich einan-
der. Der Fuhrmann hatte selbst nicht nö-
thig, die Pferde zu ihrer Schuldigkeit aufzu-
schreyen. Es gieng alles seinen Gang. Bis
hieher hat der Herr geholfen, sagte sie, und
fieng an freyer zu athmen. Sie hätte schla-
fen können, so ruhig war sie; allein die
Dankempfindungen gegen Gott verwiesen den
Schlaf aus ihren Augen. Arme Mine! Du
weißt nicht, was auf dich wartet -- arme
Mine! Sie kam in den Flecken, wo Ben-
jamin war. Vortreflich! dachte sie, und
noch ein vortreflich dachte sie hinzu, da der
Wagen nicht bey der Thür des Meisters ihres
Bruders hielt: -- Alles Plangemäß -- nur
ihr Bruder Benjamin fehlte. Zwar fand sie
eine willige Frau, die sie herzlich bewill-
kommte; allein ihren Bruder Benjamin fand
sie nicht. Anfangs fieng sie an zu zweifeln,
ob sie Benjamin nach der Verabredung vor-
finden solte? oder nicht? Ihr Kopf, das
heißt ihr Gedächtniß, hatte sehr gelitten, sie
frug sich ob Ja? oder Nein? und da sie noch
mit Ja und Nein kämpfte, fieng die gute
Frau an: "Sie werden sich doch nicht erschre-
cken! Die gewisseste Art uns einen Schreck
beyzubringen. Sie werden doch nicht! Gott!

rief

ſetzte ſie ſich auf. Alles verſtand ſich einan-
der. Der Fuhrmann hatte ſelbſt nicht noͤ-
thig, die Pferde zu ihrer Schuldigkeit aufzu-
ſchreyen. Es gieng alles ſeinen Gang. Bis
hieher hat der Herr geholfen, ſagte ſie, und
fieng an freyer zu athmen. Sie haͤtte ſchla-
fen koͤnnen, ſo ruhig war ſie; allein die
Dankempfindungen gegen Gott verwieſen den
Schlaf aus ihren Augen. Arme Mine! Du
weißt nicht, was auf dich wartet — arme
Mine! Sie kam in den Flecken, wo Ben-
jamin war. Vortreflich! dachte ſie, und
noch ein vortreflich dachte ſie hinzu, da der
Wagen nicht bey der Thuͤr des Meiſters ihres
Bruders hielt: — Alles Plangemaͤß — nur
ihr Bruder Benjamin fehlte. Zwar fand ſie
eine willige Frau, die ſie herzlich bewill-
kommte; allein ihren Bruder Benjamin fand
ſie nicht. Anfangs fieng ſie an zu zweifeln,
ob ſie Benjamin nach der Verabredung vor-
finden ſolte? oder nicht? Ihr Kopf, das
heißt ihr Gedaͤchtniß, hatte ſehr gelitten, ſie
frug ſich ob Ja? oder Nein? und da ſie noch
mit Ja und Nein kaͤmpfte, fieng die gute
Frau an: „Sie werden ſich doch nicht erſchre-
cken! Die gewiſſeſte Art uns einen Schreck
beyzubringen. Sie werden doch nicht! Gott!

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[382/0390] ſetzte ſie ſich auf. Alles verſtand ſich einan- der. Der Fuhrmann hatte ſelbſt nicht noͤ- thig, die Pferde zu ihrer Schuldigkeit aufzu- ſchreyen. Es gieng alles ſeinen Gang. Bis hieher hat der Herr geholfen, ſagte ſie, und fieng an freyer zu athmen. Sie haͤtte ſchla- fen koͤnnen, ſo ruhig war ſie; allein die Dankempfindungen gegen Gott verwieſen den Schlaf aus ihren Augen. Arme Mine! Du weißt nicht, was auf dich wartet — arme Mine! Sie kam in den Flecken, wo Ben- jamin war. Vortreflich! dachte ſie, und noch ein vortreflich dachte ſie hinzu, da der Wagen nicht bey der Thuͤr des Meiſters ihres Bruders hielt: — Alles Plangemaͤß — nur ihr Bruder Benjamin fehlte. Zwar fand ſie eine willige Frau, die ſie herzlich bewill- kommte; allein ihren Bruder Benjamin fand ſie nicht. Anfangs fieng ſie an zu zweifeln, ob ſie Benjamin nach der Verabredung vor- finden ſolte? oder nicht? Ihr Kopf, das heißt ihr Gedaͤchtniß, hatte ſehr gelitten, ſie frug ſich ob Ja? oder Nein? und da ſie noch mit Ja und Nein kaͤmpfte, fieng die gute Frau an: „Sie werden ſich doch nicht erſchre- cken! Die gewiſſeſte Art uns einen Schreck beyzubringen. Sie werden doch nicht! Gott! rief

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/390>, abgerufen am 22.11.2024.