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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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führte auf unebner Bahn, und von der er
jedes Wort als baar annahm. Die Spra-
che des Herzens ist nicht jedermanns Ding.
Sie findet sich nicht, wie das Griechische,
nach einem bewährten Sprüchwort, und wenn
ich mich recht besinne; kann ich nur diese Herz-
lichkeit den Verliebten zustehen -- wie käme sie
an einen königlich preußischen Justizrath,
der gemeinhin ein rechtlicher Dominikaner von
Hauß aus ist. Der gute Mann hatte Mühe,
die verstattete Frist unverletzt und unbefleckt zu
halten. Welche Frechheit, dacht' er, man
sucht hier jemand, der nicht hier ist.
Er
dacht' es bey allem treufleißigen Rückhalt,
doch so laut! so laut! -- Eben so überlaut,
als es sein marktschreyender Wachmeister ge-
sagt haben würde. Wie konnt' er bey die-
sem Gedanken sitzen bleiben! Diese Worte:
Man sucht jemand, der nicht hier ist --
brachten ihn auf die Füße, nachdem er bis da-
hin Platz genommen. "Armes, armes Weib,
"du solst glauben! Solch einen Glauben hab'
"ich in Israel nicht funden. Glauben! was
"sie anders mit ihren sichtlichen Augen gese-
"hen hat! -- Ein feiner Glaube!" Die Un-
geduld des Justizraths war unbeschreiblich,
sie hatte nicht in der Widdem Raum, er

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fuͤhrte auf unebner Bahn, und von der er
jedes Wort als baar annahm. Die Spra-
che des Herzens iſt nicht jedermanns Ding.
Sie findet ſich nicht, wie das Griechiſche,
nach einem bewaͤhrten Spruͤchwort, und wenn
ich mich recht beſinne; kann ich nur dieſe Herz-
lichkeit den Verliebten zuſtehen — wie kaͤme ſie
an einen koͤniglich preußiſchen Juſtizrath,
der gemeinhin ein rechtlicher Dominikaner von
Hauß aus iſt. Der gute Mann hatte Muͤhe,
die verſtattete Friſt unverletzt und unbefleckt zu
halten. Welche Frechheit, dacht’ er, man
ſucht hier jemand, der nicht hier iſt.
Er
dacht’ es bey allem treufleißigen Ruͤckhalt,
doch ſo laut! ſo laut! — Eben ſo uͤberlaut,
als es ſein marktſchreyender Wachmeiſter ge-
ſagt haben wuͤrde. Wie konnt’ er bey die-
ſem Gedanken ſitzen bleiben! Dieſe Worte:
Man ſucht jemand, der nicht hier iſt
brachten ihn auf die Fuͤße, nachdem er bis da-
hin Platz genommen. „Armes, armes Weib,
„du ſolſt glauben! Solch einen Glauben hab’
„ich in Iſrael nicht funden. Glauben! was
„ſie anders mit ihren ſichtlichen Augen geſe-
„hen hat! — Ein feiner Glaube!„ Die Un-
geduld des Juſtizraths war unbeſchreiblich,
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[487/0497] fuͤhrte auf unebner Bahn, und von der er jedes Wort als baar annahm. Die Spra- che des Herzens iſt nicht jedermanns Ding. Sie findet ſich nicht, wie das Griechiſche, nach einem bewaͤhrten Spruͤchwort, und wenn ich mich recht beſinne; kann ich nur dieſe Herz- lichkeit den Verliebten zuſtehen — wie kaͤme ſie an einen koͤniglich preußiſchen Juſtizrath, der gemeinhin ein rechtlicher Dominikaner von Hauß aus iſt. Der gute Mann hatte Muͤhe, die verſtattete Friſt unverletzt und unbefleckt zu halten. Welche Frechheit, dacht’ er, man ſucht hier jemand, der nicht hier iſt. Er dacht’ es bey allem treufleißigen Ruͤckhalt, doch ſo laut! ſo laut! — Eben ſo uͤberlaut, als es ſein marktſchreyender Wachmeiſter ge- ſagt haben wuͤrde. Wie konnt’ er bey die- ſem Gedanken ſitzen bleiben! Dieſe Worte: Man ſucht jemand, der nicht hier iſt — brachten ihn auf die Fuͤße, nachdem er bis da- hin Platz genommen. „Armes, armes Weib, „du ſolſt glauben! Solch einen Glauben hab’ „ich in Iſrael nicht funden. Glauben! was „ſie anders mit ihren ſichtlichen Augen geſe- „hen hat! — Ein feiner Glaube!„ Die Un- geduld des Juſtizraths war unbeſchreiblich, ſie hatte nicht in der Widdem Raum, er gieng H h 4

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/497>, abgerufen am 22.11.2024.