knaben auf, und sie nahm es sich unendlich zu Herzen. Ich habe, sagte sie in ihrer Unschuld zu Benjamin, den Judenknaben nicht gesehen, und will es auch nicht. -- Der Spott zehrte sie so ab, als das Gefäng- nis bey Wasser und Brod den Judenknaben. Sie fiel in ein Fieber, und nun gieng der alte Herr in sich, welcher mit Beyhülfe des Doktors Saft wieder Seel und Leib ins Ge- leise brachte. -- Der alte Herr bemerkte, daß sich die Liebe zur Schlittenfarth beym Benjamin wieder gefunden, und daß Min- chen noch bis auf den heutigen Tag bleich im Gesicht wie gewäßerte Milch würde, wenn man das Wort Jude ausspräche, wie -- (Der Herr Candidat legte seine Pfeife hin, und kam mir dicht ans Ohr, da er mir diese Pille eingab) ihr Herr Vater über den Ausdruck Melchi- sedech.
Diese Zugabe setzte mich nicht wenig in Erstaunen, und ich machte die Bemerkung, daß jeder Mensch, der unschuldigste nicht ausgenommen, ein Wort hätte, wobey ihm nicht wohl zu Muth' würde, es sey Melchi- sedech -- Judenjunge -- ich zum Exem- pel -- -- --
Gott!
knaben auf, und ſie nahm es ſich unendlich zu Herzen. Ich habe, ſagte ſie in ihrer Unſchuld zu Benjamin, den Judenknaben nicht geſehen, und will es auch nicht. — Der Spott zehrte ſie ſo ab, als das Gefaͤng- nis bey Waſſer und Brod den Judenknaben. Sie fiel in ein Fieber, und nun gieng der alte Herr in ſich, welcher mit Beyhuͤlfe des Doktors Saft wieder Seel und Leib ins Ge- leiſe brachte. — Der alte Herr bemerkte, daß ſich die Liebe zur Schlittenfarth beym Benjamin wieder gefunden, und daß Min- chen noch bis auf den heutigen Tag bleich im Geſicht wie gewaͤßerte Milch wuͤrde, wenn man das Wort Jude ausſpraͤche, wie — (Der Herr Candidat legte ſeine Pfeife hin, und kam mir dicht ans Ohr, da er mir dieſe Pille eingab) ihr Herr Vater uͤber den Ausdruck Melchi- ſedech.
Dieſe Zugabe ſetzte mich nicht wenig in Erſtaunen, und ich machte die Bemerkung, daß jeder Menſch, der unſchuldigſte nicht ausgenommen, ein Wort haͤtte, wobey ihm nicht wohl zu Muth’ wuͤrde, es ſey Melchi- ſedech — Judenjunge — ich zum Exem- pel — — —
Gott!
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0052"n="46"/>
knaben auf, und ſie nahm es ſich unendlich<lb/>
zu Herzen. Ich habe, ſagte ſie in ihrer<lb/>
Unſchuld zu Benjamin, den Judenknaben<lb/>
nicht geſehen, und will es auch nicht. —<lb/>
Der Spott zehrte ſie ſo ab, als das Gefaͤng-<lb/>
nis bey Waſſer und Brod den Judenknaben.<lb/>
Sie fiel in ein Fieber, und nun gieng der<lb/>
alte Herr in ſich, welcher mit Beyhuͤlfe des<lb/>
Doktors Saft wieder Seel und Leib ins Ge-<lb/>
leiſe brachte. — Der alte Herr bemerkte,<lb/>
daß ſich die Liebe zur Schlittenfarth beym<lb/>
Benjamin wieder gefunden, und daß Min-<lb/>
chen noch bis auf den heutigen Tag bleich<lb/>
im Geſicht wie gewaͤßerte Milch wuͤrde,<lb/>
wenn man das Wort Jude ausſpraͤche, wie —<lb/><hirendition="#et">(Der Herr Candidat legte ſeine Pfeife hin, und<lb/>
kam mir dicht ans Ohr, da er mir dieſe Pille<lb/>
eingab)</hi><lb/>
ihr Herr Vater uͤber den Ausdruck <hirendition="#fr">Melchi-<lb/>ſedech</hi>.</p><lb/><p>Dieſe Zugabe ſetzte mich nicht wenig in<lb/>
Erſtaunen, und ich machte die Bemerkung,<lb/>
daß jeder Menſch, der unſchuldigſte nicht<lb/>
ausgenommen, ein Wort haͤtte, wobey ihm<lb/>
nicht wohl zu Muth’ wuͤrde, es ſey Melchi-<lb/>ſedech — Judenjunge — ich zum Exem-<lb/>
pel ———</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Gott!</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[46/0052]
knaben auf, und ſie nahm es ſich unendlich
zu Herzen. Ich habe, ſagte ſie in ihrer
Unſchuld zu Benjamin, den Judenknaben
nicht geſehen, und will es auch nicht. —
Der Spott zehrte ſie ſo ab, als das Gefaͤng-
nis bey Waſſer und Brod den Judenknaben.
Sie fiel in ein Fieber, und nun gieng der
alte Herr in ſich, welcher mit Beyhuͤlfe des
Doktors Saft wieder Seel und Leib ins Ge-
leiſe brachte. — Der alte Herr bemerkte,
daß ſich die Liebe zur Schlittenfarth beym
Benjamin wieder gefunden, und daß Min-
chen noch bis auf den heutigen Tag bleich
im Geſicht wie gewaͤßerte Milch wuͤrde,
wenn man das Wort Jude ausſpraͤche, wie —
(Der Herr Candidat legte ſeine Pfeife hin, und
kam mir dicht ans Ohr, da er mir dieſe Pille
eingab)
ihr Herr Vater uͤber den Ausdruck Melchi-
ſedech.
Dieſe Zugabe ſetzte mich nicht wenig in
Erſtaunen, und ich machte die Bemerkung,
daß jeder Menſch, der unſchuldigſte nicht
ausgenommen, ein Wort haͤtte, wobey ihm
nicht wohl zu Muth’ wuͤrde, es ſey Melchi-
ſedech — Judenjunge — ich zum Exem-
pel — — —
Gott!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/52>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.