Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

wir gern! gern allzusammen da gestorben wä-
ren. Gern, um in Minens Geselschaft zu seyn.
Gott! ist sie dann nicht werth, daß man ihret-
wegen stirbt! Sie war mir alles, fieng ich an,
und weinte. Welt! Leben! alles! sagt' ich,
und weinte bitterlich. --

Geliebte Leser und Leserinnen, habt Mit-
leiden mit mir, auch jetzt, da ich dies schreibe,
wein' ich und weine bitterlich. --

Nach einer langen Weile, da ich mit star-
rem Blick sie angesehen, sprang ich auf und
schrie: sie lebt! Noch diese Minute weiß ich
nicht, wie ich zu diesem: Sie lebt! kam --
ich sprang auf, drückte sie fest an mich, und
siehe da -- -- ich fühlt' einen warmen Othem.
-- Der Prediger kam, Gretchen kam, alles
mir nach: Sie lebt! -- Minchen, rief ich,
du lebst, du lebst! Steh' auf von den Todten!
Erwach! erwach! Du schläfst nur! Mine,
Weib meiner Seele! sieh auf! sieh nur noch
einmal auf! nur noch ein Wort! Mine! nur
ein einziges! Der Prediger machte Proben
mit dem Othem, wie es schien, und das nicht
ohne die Fassung, die eine jede Probe erfor-
dert. -- Sie lebt! schrie er mit einer erprüf-
ten Gewißheit, daß ich vor Freud' außer mir
war! Es ging so weit, daß wir lebendiges

Blut

wir gern! gern allzuſammen da geſtorben waͤ-
ren. Gern, um in Minens Geſelſchaft zu ſeyn.
Gott! iſt ſie dann nicht werth, daß man ihret-
wegen ſtirbt! Sie war mir alles, fieng ich an,
und weinte. Welt! Leben! alles! ſagt’ ich,
und weinte bitterlich. —

Geliebte Leſer und Leſerinnen, habt Mit-
leiden mit mir, auch jetzt, da ich dies ſchreibe,
wein’ ich und weine bitterlich. —

Nach einer langen Weile, da ich mit ſtar-
rem Blick ſie angeſehen, ſprang ich auf und
ſchrie: ſie lebt! Noch dieſe Minute weiß ich
nicht, wie ich zu dieſem: Sie lebt! kam —
ich ſprang auf, druͤckte ſie feſt an mich, und
ſiehe da — — ich fuͤhlt’ einen warmen Othem.
— Der Prediger kam, Gretchen kam, alles
mir nach: Sie lebt! — Minchen, rief ich,
du lebſt, du lebſt! Steh’ auf von den Todten!
Erwach! erwach! Du ſchlaͤfſt nur! Mine,
Weib meiner Seele! ſieh auf! ſieh nur noch
einmal auf! nur noch ein Wort! Mine! nur
ein einziges! Der Prediger machte Proben
mit dem Othem, wie es ſchien, und das nicht
ohne die Faſſung, die eine jede Probe erfor-
dert. — Sie lebt! ſchrie er mit einer erpruͤf-
ten Gewißheit, daß ich vor Freud’ außer mir
war! Es ging ſo weit, daß wir lebendiges

Blut
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0532" n="522"/>
wir gern! gern allzu&#x017F;ammen da ge&#x017F;torben wa&#x0364;-<lb/>
ren. Gern, um in Minens Ge&#x017F;el&#x017F;chaft zu &#x017F;eyn.<lb/>
Gott! i&#x017F;t &#x017F;ie dann nicht werth, daß man ihret-<lb/>
wegen &#x017F;tirbt! Sie war mir alles, fieng ich an,<lb/>
und weinte. Welt! Leben! alles! &#x017F;agt&#x2019; ich,<lb/>
und weinte bitterlich. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Geliebte Le&#x017F;er und Le&#x017F;erinnen, habt Mit-<lb/>
leiden mit mir, auch jetzt, da ich dies &#x017F;chreibe,<lb/>
wein&#x2019; ich und weine bitterlich. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Nach einer langen Weile, da ich mit &#x017F;tar-<lb/>
rem Blick &#x017F;ie ange&#x017F;ehen, &#x017F;prang ich auf und<lb/>
&#x017F;chrie: <hi rendition="#fr">&#x017F;ie lebt!</hi> Noch die&#x017F;e Minute weiß ich<lb/>
nicht, wie ich zu die&#x017F;em: <hi rendition="#fr">Sie lebt!</hi> kam &#x2014;<lb/>
ich &#x017F;prang auf, dru&#x0364;ckte &#x017F;ie fe&#x017F;t an mich, und<lb/>
&#x017F;iehe da &#x2014; &#x2014; ich fu&#x0364;hlt&#x2019; einen warmen Othem.<lb/>
&#x2014; Der Prediger kam, Gretchen kam, alles<lb/>
mir nach: <hi rendition="#fr">Sie lebt!</hi> &#x2014; Minchen, rief ich,<lb/>
du leb&#x017F;t, du leb&#x017F;t! Steh&#x2019; auf von den Todten!<lb/>
Erwach! erwach! Du &#x017F;chla&#x0364;f&#x017F;t nur! Mine,<lb/>
Weib meiner Seele! &#x017F;ieh auf! &#x017F;ieh nur noch<lb/>
einmal auf! nur noch ein Wort! Mine! nur<lb/>
ein einziges! Der Prediger machte Proben<lb/>
mit dem Othem, wie es &#x017F;chien, und das nicht<lb/>
ohne die Fa&#x017F;&#x017F;ung, die eine jede Probe erfor-<lb/>
dert. &#x2014; <hi rendition="#fr">Sie lebt!</hi> &#x017F;chrie er mit einer erpru&#x0364;f-<lb/>
ten Gewißheit, daß ich vor Freud&#x2019; außer mir<lb/>
war! Es ging &#x017F;o weit, daß wir lebendiges<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Blut</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[522/0532] wir gern! gern allzuſammen da geſtorben waͤ- ren. Gern, um in Minens Geſelſchaft zu ſeyn. Gott! iſt ſie dann nicht werth, daß man ihret- wegen ſtirbt! Sie war mir alles, fieng ich an, und weinte. Welt! Leben! alles! ſagt’ ich, und weinte bitterlich. — Geliebte Leſer und Leſerinnen, habt Mit- leiden mit mir, auch jetzt, da ich dies ſchreibe, wein’ ich und weine bitterlich. — Nach einer langen Weile, da ich mit ſtar- rem Blick ſie angeſehen, ſprang ich auf und ſchrie: ſie lebt! Noch dieſe Minute weiß ich nicht, wie ich zu dieſem: Sie lebt! kam — ich ſprang auf, druͤckte ſie feſt an mich, und ſiehe da — — ich fuͤhlt’ einen warmen Othem. — Der Prediger kam, Gretchen kam, alles mir nach: Sie lebt! — Minchen, rief ich, du lebſt, du lebſt! Steh’ auf von den Todten! Erwach! erwach! Du ſchlaͤfſt nur! Mine, Weib meiner Seele! ſieh auf! ſieh nur noch einmal auf! nur noch ein Wort! Mine! nur ein einziges! Der Prediger machte Proben mit dem Othem, wie es ſchien, und das nicht ohne die Faſſung, die eine jede Probe erfor- dert. — Sie lebt! ſchrie er mit einer erpruͤf- ten Gewißheit, daß ich vor Freud’ außer mir war! Es ging ſo weit, daß wir lebendiges Blut

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/532
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/532>, abgerufen am 22.11.2024.