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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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überlaut zu rufen: Mine! Mine! liebe
Mine! Der alte Herr bemerkte, daß Min-
chen für ein Frauenzimmer zu viel Herz
hätte, und rechnet' es ihr zum Fehler an. --
Entweder, sagt' er, ist die Rolle daran
Schuld, die sie bey den Kriegen als älteste
Prinzeßin Tochter des Darius übernahm --
oder sie kennt keine Damen von Stande. --
Mag sie sich doch, fuhr er fort, der Littera-
tus, der sie zur Frau macht, beßer ziehen.
Sie fürchtet sich für keine Maus und keinen
Frosch, und wenn die Spinnen den Weg
verwürkt haben, zieht sie das Geweb' wie
einen Vorhang in die Höhe mit bloßen Hän-
den. -- Noch bemerkte der Herr Candidat,
daß Mine in ihrer Jugend, obschon sie we-
gen des Finkennests einmal rühmlichst vom
Baum gefallen, doch nicht nachgelassen, wie-
wohl nur auf der Erde zu hüpfen, und zu
springen. -- Je größer sie aber wurde, je
ernsthafter, setzt' er hinzu. Nur sehr sehr
selten wandelt ihr jetzo, fuhr er fort, das
Hüpfen und Springen an, weit öfter aber
das Weinen -- welches nach dem Tod ihrer
Mutter ohn' End' und Ziel ist, und das --
(der alte Herr zog selbst den Mund zur Thrä-
ne in Ordnung, indessen wolt' es die Pfeife

nicht

uͤberlaut zu rufen: Mine! Mine! liebe
Mine! Der alte Herr bemerkte, daß Min-
chen fuͤr ein Frauenzimmer zu viel Herz
haͤtte, und rechnet’ es ihr zum Fehler an. —
Entweder, ſagt’ er, iſt die Rolle daran
Schuld, die ſie bey den Kriegen als aͤlteſte
Prinzeßin Tochter des Darius uͤbernahm —
oder ſie kennt keine Damen von Stande. —
Mag ſie ſich doch, fuhr er fort, der Littera-
tus, der ſie zur Frau macht, beßer ziehen.
Sie fuͤrchtet ſich fuͤr keine Maus und keinen
Froſch, und wenn die Spinnen den Weg
verwuͤrkt haben, zieht ſie das Geweb’ wie
einen Vorhang in die Hoͤhe mit bloßen Haͤn-
den. — Noch bemerkte der Herr Candidat,
daß Mine in ihrer Jugend, obſchon ſie we-
gen des Finkenneſts einmal ruͤhmlichſt vom
Baum gefallen, doch nicht nachgelaſſen, wie-
wohl nur auf der Erde zu huͤpfen, und zu
ſpringen. — Je groͤßer ſie aber wurde, je
ernſthafter, ſetzt’ er hinzu. Nur ſehr ſehr
ſelten wandelt ihr jetzo, fuhr er fort, das
Huͤpfen und Springen an, weit oͤfter aber
das Weinen — welches nach dem Tod ihrer
Mutter ohn’ End’ und Ziel iſt, und das —
(der alte Herr zog ſelbſt den Mund zur Thraͤ-
ne in Ordnung, indeſſen wolt’ es die Pfeife

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[48/0054] uͤberlaut zu rufen: Mine! Mine! liebe Mine! Der alte Herr bemerkte, daß Min- chen fuͤr ein Frauenzimmer zu viel Herz haͤtte, und rechnet’ es ihr zum Fehler an. — Entweder, ſagt’ er, iſt die Rolle daran Schuld, die ſie bey den Kriegen als aͤlteſte Prinzeßin Tochter des Darius uͤbernahm — oder ſie kennt keine Damen von Stande. — Mag ſie ſich doch, fuhr er fort, der Littera- tus, der ſie zur Frau macht, beßer ziehen. Sie fuͤrchtet ſich fuͤr keine Maus und keinen Froſch, und wenn die Spinnen den Weg verwuͤrkt haben, zieht ſie das Geweb’ wie einen Vorhang in die Hoͤhe mit bloßen Haͤn- den. — Noch bemerkte der Herr Candidat, daß Mine in ihrer Jugend, obſchon ſie we- gen des Finkenneſts einmal ruͤhmlichſt vom Baum gefallen, doch nicht nachgelaſſen, wie- wohl nur auf der Erde zu huͤpfen, und zu ſpringen. — Je groͤßer ſie aber wurde, je ernſthafter, ſetzt’ er hinzu. Nur ſehr ſehr ſelten wandelt ihr jetzo, fuhr er fort, das Huͤpfen und Springen an, weit oͤfter aber das Weinen — welches nach dem Tod ihrer Mutter ohn’ End’ und Ziel iſt, und das — (der alte Herr zog ſelbſt den Mund zur Thraͤ- ne in Ordnung, indeſſen wolt’ es die Pfeife nicht

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/54>, abgerufen am 23.11.2024.