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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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und grösser zu werden droht! -- O glück-
liche Männer, auf die noch der lezte Stral
aus seinen Augen schoß. Wir hätten die
Altarlichter dran anzünden können, so feurig!
Er stirbt -- ich wolte weiter singen; kann
ich? kann ich mehr? Er stirbt! er stirbt!
ist alles was ich sagen werde, bis auch ich
sterbe. Das erst und lezte vom Menschen
ist das beste! Ich habe viel gesehen! sah'
ihn, wie er gebohren ward, sah, wie er starb!
Ich hab' ihn ganz! Er lächelte, wie er zur
Welt kam; allein er lag so schön nicht, als
jetzt, da er starb. Wie schön er da todt ist!
So todt sind nur wenige; denn sonst würd'
es nicht schwer seyn zu sterben.

Du hast gesiegt, Held! Du hast den
Feind überwunden, und zween Tode, zween
Tode starbst du, ohn zu sterben; dem drit-
ten mußtest du nachgeben. Du warst matt! --
Ists Wunder?

Gönnt der heiligen Stelle die Ehre, daß
er noch länger darauf liege. Sie ist warm
durch ihn worden. Laßt sie auch kalt durch
ihn werden. Der warme Tag ist schön, der
kühle Abend auch, und dann scharrt ihn nicht
ins Thal, auf jenen steilen Berg, wo wenige
hinauf können, keiner der einen kurzen Othem

hat.
O o 4

und groͤſſer zu werden droht! — O gluͤck-
liche Maͤnner, auf die noch der lezte Stral
aus ſeinen Augen ſchoß. Wir haͤtten die
Altarlichter dran anzuͤnden koͤnnen, ſo feurig!
Er ſtirbt — ich wolte weiter ſingen; kann
ich? kann ich mehr? Er ſtirbt! er ſtirbt!
iſt alles was ich ſagen werde, bis auch ich
ſterbe. Das erſt und lezte vom Menſchen
iſt das beſte! Ich habe viel geſehen! ſah’
ihn, wie er gebohren ward, ſah, wie er ſtarb!
Ich hab’ ihn ganz! Er laͤchelte, wie er zur
Welt kam; allein er lag ſo ſchoͤn nicht, als
jetzt, da er ſtarb. Wie ſchoͤn er da todt iſt!
So todt ſind nur wenige; denn ſonſt wuͤrd’
es nicht ſchwer ſeyn zu ſterben.

Du haſt geſiegt, Held! Du haſt den
Feind uͤberwunden, und zween Tode, zween
Tode ſtarbſt du, ohn zu ſterben; dem drit-
ten mußteſt du nachgeben. Du warſt matt! —
Iſts Wunder?

Goͤnnt der heiligen Stelle die Ehre, daß
er noch laͤnger darauf liege. Sie iſt warm
durch ihn worden. Laßt ſie auch kalt durch
ihn werden. Der warme Tag iſt ſchoͤn, der
kuͤhle Abend auch, und dann ſcharrt ihn nicht
ins Thal, auf jenen ſteilen Berg, wo wenige
hinauf koͤnnen, keiner der einen kurzen Othem

hat.
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[583/0595] und groͤſſer zu werden droht! — O gluͤck- liche Maͤnner, auf die noch der lezte Stral aus ſeinen Augen ſchoß. Wir haͤtten die Altarlichter dran anzuͤnden koͤnnen, ſo feurig! Er ſtirbt — ich wolte weiter ſingen; kann ich? kann ich mehr? Er ſtirbt! er ſtirbt! iſt alles was ich ſagen werde, bis auch ich ſterbe. Das erſt und lezte vom Menſchen iſt das beſte! Ich habe viel geſehen! ſah’ ihn, wie er gebohren ward, ſah, wie er ſtarb! Ich hab’ ihn ganz! Er laͤchelte, wie er zur Welt kam; allein er lag ſo ſchoͤn nicht, als jetzt, da er ſtarb. Wie ſchoͤn er da todt iſt! So todt ſind nur wenige; denn ſonſt wuͤrd’ es nicht ſchwer ſeyn zu ſterben. Du haſt geſiegt, Held! Du haſt den Feind uͤberwunden, und zween Tode, zween Tode ſtarbſt du, ohn zu ſterben; dem drit- ten mußteſt du nachgeben. Du warſt matt! — Iſts Wunder? Goͤnnt der heiligen Stelle die Ehre, daß er noch laͤnger darauf liege. Sie iſt warm durch ihn worden. Laßt ſie auch kalt durch ihn werden. Der warme Tag iſt ſchoͤn, der kuͤhle Abend auch, und dann ſcharrt ihn nicht ins Thal, auf jenen ſteilen Berg, wo wenige hinauf koͤnnen, keiner der einen kurzen Othem hat. O o 4

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/595>, abgerufen am 21.11.2024.