sah. Sein plein good sense, sein gesunder Menschenverstand, wußte gleich ein Exem- pel, wenn eine Regel gegeben ward; und vielleicht verhielt er sich gegen meinen Vater, um den Vergleich ins Kurze zu ziehen, wie Regel und Erläuterungsbeyspiel.
Wir haben heut Ragout, eingeschnitte- nen Braten, sagte Herr v. G. Alles von gestern. -- Wir wiederholen die Predigt, und fragen sie uns ab. --
Wenn je ein Ausdruck auf meinen Va- ter paßt, und der Wahrheit angemessen ist; so ist es der von einer Predigt. Dies Kleid war wie auf den Leib gegossen, konnte man sagen, um von der Bemerkung, daß Worte Kleider der Gedanken wären, Gebrauch zu machen. Wer kann aber meinem Vater, den Pastor, und meiner Mutter, die Pasto- rin verdenken? Die Predigt und den Gesang!
Herr v. G. erklärte seiner Gemahlin was naif und was Laune sey, worüber sie zuweilen eine naife und launigte Unterredung gehabt. Laune, sagt' er, ist der körnigte Ausdruck eines naifen Gedanken. Naifität ist eine Satyre auf die Kunst, es beste- he diese Satyre in Gedanken, Geberden, Worten oder Werken. -- Er belehrte sie,
daß
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ſah. Sein plein good ſenſe, ſein geſunder Menſchenverſtand, wußte gleich ein Exem- pel, wenn eine Regel gegeben ward; und vielleicht verhielt er ſich gegen meinen Vater, um den Vergleich ins Kurze zu ziehen, wie Regel und Erlaͤuterungsbeyſpiel.
Wir haben heut Ragout, eingeſchnitte- nen Braten, ſagte Herr v. G. Alles von geſtern. — Wir wiederholen die Predigt, und fragen ſie uns ab. —
Wenn je ein Ausdruck auf meinen Va- ter paßt, und der Wahrheit angemeſſen iſt; ſo iſt es der von einer Predigt. Dies Kleid war wie auf den Leib gegoſſen, konnte man ſagen, um von der Bemerkung, daß Worte Kleider der Gedanken waͤren, Gebrauch zu machen. Wer kann aber meinem Vater, den Paſtor, und meiner Mutter, die Paſto- rin verdenken? Die Predigt und den Geſang!
Herr v. G. erklaͤrte ſeiner Gemahlin was naif und was Laune ſey, woruͤber ſie zuweilen eine naife und launigte Unterredung gehabt. Laune, ſagt’ er, iſt der koͤrnigte Ausdruck eines naifen Gedanken. Naifitaͤt iſt eine Satyre auf die Kunſt, es beſte- he dieſe Satyre in Gedanken, Geberden, Worten oder Werken. — Er belehrte ſie,
daß
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ſah. Sein plein good ſenſe, ſein geſunder
Menſchenverſtand, wußte gleich ein Exem-
pel, wenn eine Regel gegeben ward; und
vielleicht verhielt er ſich gegen meinen Vater,
um den Vergleich ins Kurze zu ziehen, wie
Regel und Erlaͤuterungsbeyſpiel.
Wir haben heut Ragout, eingeſchnitte-
nen Braten, ſagte Herr v. G. Alles von
geſtern. — Wir wiederholen die Predigt,
und fragen ſie uns ab. —
Wenn je ein Ausdruck auf meinen Va-
ter paßt, und der Wahrheit angemeſſen iſt;
ſo iſt es der von einer Predigt. Dies Kleid
war wie auf den Leib gegoſſen, konnte man
ſagen, um von der Bemerkung, daß Worte
Kleider der Gedanken waͤren, Gebrauch zu
machen. Wer kann aber meinem Vater,
den Paſtor, und meiner Mutter, die Paſto-
rin verdenken? Die Predigt und den Geſang!
Herr v. G. erklaͤrte ſeiner Gemahlin
was naif und was Laune ſey, woruͤber ſie
zuweilen eine naife und launigte Unterredung
gehabt. Laune, ſagt’ er, iſt der koͤrnigte
Ausdruck eines naifen Gedanken. Naifitaͤt
iſt eine Satyre auf die Kunſt, es beſte-
he dieſe Satyre in Gedanken, Geberden,
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/73>, abgerufen am 23.11.2024.
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