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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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so in den Zeitungen steht, als habe er des
Moses Lebensschlagbaum aufgemacht, und
noch zehn Jahre drüber gelebt, und das klein-
ste Kind, einen Tag gelebt. Methusalem, da
er starb, kam nicht in die Zeitungen, darum
steht er auch in der Bibel. Was wimmerst
du, Unvernünftiger, lebt auch was, das nicht
Vernunft hat? Du abbrevirest dein Leben,
wie Geschwindschreiber, und machst es so un-
leserlich, so ungestalt, daß du über ein Klei-
nes selbst nicht klug daraus werden kannst.
Die Natur ist nicht karg gewesen; allein du
bist ein Praßer. Wer kann dir das Maul
stopfen? Wer dich bereichern? Ein so
großer Lebensdurchbringer, daß dich Gott
mit seiner milden Rechten selbst nicht reich
machen kann! Du dienst dem Publicum,
und vernachläßigst dich selbst. Du sinnst
Tag und Nacht, um das Geld, das dein
Nachbar hat, dir zuzuwenden, es sey durch
Handel und Wandel, oder Diebstal, das
heißt: durch grobes und subtiles Stehlen,
und wenn du Meere durchgekreuzet, und gute
und falsche Wechsel unter die Leute gebracht,
und endlich alles in deine Scheuren gehäuft
hast; was ist deine Sammlung? Leben ists
nicht. Das ist nicht feil in der Welt; du

allein

ſo in den Zeitungen ſteht, als habe er des
Moſes Lebensſchlagbaum aufgemacht, und
noch zehn Jahre druͤber gelebt, und das klein-
ſte Kind, einen Tag gelebt. Methuſalem, da
er ſtarb, kam nicht in die Zeitungen, darum
ſteht er auch in der Bibel. Was wimmerſt
du, Unvernuͤnftiger, lebt auch was, das nicht
Vernunft hat? Du abbrevireſt dein Leben,
wie Geſchwindſchreiber, und machſt es ſo un-
leſerlich, ſo ungeſtalt, daß du uͤber ein Klei-
nes ſelbſt nicht klug daraus werden kannſt.
Die Natur iſt nicht karg geweſen; allein du
biſt ein Praßer. Wer kann dir das Maul
ſtopfen? Wer dich bereichern? Ein ſo
großer Lebensdurchbringer, daß dich Gott
mit ſeiner milden Rechten ſelbſt nicht reich
machen kann! Du dienſt dem Publicum,
und vernachlaͤßigſt dich ſelbſt. Du ſinnſt
Tag und Nacht, um das Geld, das dein
Nachbar hat, dir zuzuwenden, es ſey durch
Handel und Wandel, oder Diebſtal, das
heißt: durch grobes und ſubtiles Stehlen,
und wenn du Meere durchgekreuzet, und gute
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[176/0182] ſo in den Zeitungen ſteht, als habe er des Moſes Lebensſchlagbaum aufgemacht, und noch zehn Jahre druͤber gelebt, und das klein- ſte Kind, einen Tag gelebt. Methuſalem, da er ſtarb, kam nicht in die Zeitungen, darum ſteht er auch in der Bibel. Was wimmerſt du, Unvernuͤnftiger, lebt auch was, das nicht Vernunft hat? Du abbrevireſt dein Leben, wie Geſchwindſchreiber, und machſt es ſo un- leſerlich, ſo ungeſtalt, daß du uͤber ein Klei- nes ſelbſt nicht klug daraus werden kannſt. Die Natur iſt nicht karg geweſen; allein du biſt ein Praßer. Wer kann dir das Maul ſtopfen? Wer dich bereichern? Ein ſo großer Lebensdurchbringer, daß dich Gott mit ſeiner milden Rechten ſelbſt nicht reich machen kann! Du dienſt dem Publicum, und vernachlaͤßigſt dich ſelbſt. Du ſinnſt Tag und Nacht, um das Geld, das dein Nachbar hat, dir zuzuwenden, es ſey durch Handel und Wandel, oder Diebſtal, das heißt: durch grobes und ſubtiles Stehlen, und wenn du Meere durchgekreuzet, und gute und falſche Wechſel unter die Leute gebracht, und endlich alles in deine Scheuren gehaͤuft haſt; was iſt deine Sammlung? Leben iſts nicht. Das iſt nicht feil in der Welt; du allein

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/182>, abgerufen am 24.11.2024.