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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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über das Leben abgeben soll, nicht hie und da
eine schöne Stelle auswählt, sondern über
das Ganze urtheilt, ist weise. -- Was ist
aber alsdann das Leben? Wenn es köstlich ge-
wesen, ists ein Lebensanfang. Der hat am
schönsten gelebt, der am meisten gedacht, wie
er leben wolte. Jener Weise, welcher be-
hauptete, daß Tod und Leben eins und
eben dasselbe wären, war nicht in der Lage,
da man ihm den Einwand machte: warum
stirbst du denn nicht auf der Stelle? Darum
eben, erwiedert' er, weil Leben und Sterben
einerley ist! -- Es stirbt sich, wenn mans
nur dazu anlegt, leichter, als es sich lebt.
Laßet uns ehrlich seyn, ist die Zahl unserer
Freuden nicht auf augenblickliche Intervalle
eingeschränkt? Der rechten Freuden, sag
ich. Daß wir so herzlich gern hoffen, bewei-
set, daß an der grösten Lust nicht viel seyn
könne. Die Menschen wünschen sich ohn'
End und Ziel, weil der Wunsch ein Keim der
Hofnung ist. Schon der Mechanismus trö-
pfelt Thränen in den Wein unserer Freuden.
Was ist der Mensch? Nackt kommen wir auf
die Welt. Seht! andere Thiere kommen ein-
gekleidet, und bedörfen des Schneiders nicht.
Wir Könige von Gottes Gnaden aber, müs-

sen

uͤber das Leben abgeben ſoll, nicht hie und da
eine ſchoͤne Stelle auswaͤhlt, ſondern uͤber
das Ganze urtheilt, iſt weiſe. — Was iſt
aber alsdann das Leben? Wenn es koͤſtlich ge-
weſen, iſts ein Lebensanfang. Der hat am
ſchoͤnſten gelebt, der am meiſten gedacht, wie
er leben wolte. Jener Weiſe, welcher be-
hauptete, daß Tod und Leben eins und
eben daſſelbe waͤren, war nicht in der Lage,
da man ihm den Einwand machte: warum
ſtirbſt du denn nicht auf der Stelle? Darum
eben, erwiedert’ er, weil Leben und Sterben
einerley iſt! — Es ſtirbt ſich, wenn mans
nur dazu anlegt, leichter, als es ſich lebt.
Laßet uns ehrlich ſeyn, iſt die Zahl unſerer
Freuden nicht auf augenblickliche Intervalle
eingeſchraͤnkt? Der rechten Freuden, ſag
ich. Daß wir ſo herzlich gern hoffen, bewei-
ſet, daß an der groͤſten Luſt nicht viel ſeyn
koͤnne. Die Menſchen wuͤnſchen ſich ohn’
End und Ziel, weil der Wunſch ein Keim der
Hofnung iſt. Schon der Mechanismus troͤ-
pfelt Thraͤnen in den Wein unſerer Freuden.
Was iſt der Menſch? Nackt kommen wir auf
die Welt. Seht! andere Thiere kommen ein-
gekleidet, und bedoͤrfen des Schneiders nicht.
Wir Koͤnige von Gottes Gnaden aber, muͤſ-

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[182/0188] uͤber das Leben abgeben ſoll, nicht hie und da eine ſchoͤne Stelle auswaͤhlt, ſondern uͤber das Ganze urtheilt, iſt weiſe. — Was iſt aber alsdann das Leben? Wenn es koͤſtlich ge- weſen, iſts ein Lebensanfang. Der hat am ſchoͤnſten gelebt, der am meiſten gedacht, wie er leben wolte. Jener Weiſe, welcher be- hauptete, daß Tod und Leben eins und eben daſſelbe waͤren, war nicht in der Lage, da man ihm den Einwand machte: warum ſtirbſt du denn nicht auf der Stelle? Darum eben, erwiedert’ er, weil Leben und Sterben einerley iſt! — Es ſtirbt ſich, wenn mans nur dazu anlegt, leichter, als es ſich lebt. Laßet uns ehrlich ſeyn, iſt die Zahl unſerer Freuden nicht auf augenblickliche Intervalle eingeſchraͤnkt? Der rechten Freuden, ſag ich. Daß wir ſo herzlich gern hoffen, bewei- ſet, daß an der groͤſten Luſt nicht viel ſeyn koͤnne. Die Menſchen wuͤnſchen ſich ohn’ End und Ziel, weil der Wunſch ein Keim der Hofnung iſt. Schon der Mechanismus troͤ- pfelt Thraͤnen in den Wein unſerer Freuden. Was iſt der Menſch? Nackt kommen wir auf die Welt. Seht! andere Thiere kommen ein- gekleidet, und bedoͤrfen des Schneiders nicht. Wir Koͤnige von Gottes Gnaden aber, muͤſ- ſen

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/188>, abgerufen am 24.11.2024.