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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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ehren jeden Mann, der so wenig Bedürsniße
hat, und halten den Genuß, die ganze Sinn-
lichkeit, für Etwas, das unschicklich ist. Un-
sere Talente selbst, was läßt sich nicht von
ihnen erwarten? Was ist nicht schon erfun-
den, und das Reich der Möglichkeit, wer
kennt seine Gränzen? Ich erstaune, wenn
ich die Geschichte mir über tausend Jahre
denke. Sollte uns Gott geschaffen haben,
um unserer zu spotten? Monarchen, und
auch Salomons unter ihnen, brauchen lustige
Räthe. Wie? Das höchste Wesen sollte
Menschen zu solch einer Absicht -- oder im
Zorn sollte Gott den Menschen gemacht ha-
ben, wie einige Gottschänder gewähnt? Und
was ist selbst leichter zu denken, daß wir blei-
ben, oder daß wir aufhören werden? Wer
ist, der sich nicht nach Unsterblichkeit sehnet?
Und diese Sehnsucht sollte wie Spreu zer-
streut werden? Die meisten unserer Brüder
sterben gemeinhin in Fragzeichen, einige in
Verwunderungszeichen, viele in Comma.
Wer stirbt im Punktum? Und sollte der
Mensch seinem Oberherrn trotzen können?
Sollte er, wenn es ihn gut dünkt, in der
Welt Brand stiften, alle Kinder, die jährig
und drunter sind, in Bethlehem morden laßen,

und

ehren jeden Mann, der ſo wenig Beduͤrſniße
hat, und halten den Genuß, die ganze Sinn-
lichkeit, fuͤr Etwas, das unſchicklich iſt. Un-
ſere Talente ſelbſt, was laͤßt ſich nicht von
ihnen erwarten? Was iſt nicht ſchon erfun-
den, und das Reich der Moͤglichkeit, wer
kennt ſeine Graͤnzen? Ich erſtaune, wenn
ich die Geſchichte mir uͤber tauſend Jahre
denke. Sollte uns Gott geſchaffen haben,
um unſerer zu ſpotten? Monarchen, und
auch Salomons unter ihnen, brauchen luſtige
Raͤthe. Wie? Das hoͤchſte Weſen ſollte
Menſchen zu ſolch einer Abſicht — oder im
Zorn ſollte Gott den Menſchen gemacht ha-
ben, wie einige Gottſchaͤnder gewaͤhnt? Und
was iſt ſelbſt leichter zu denken, daß wir blei-
ben, oder daß wir aufhoͤren werden? Wer
iſt, der ſich nicht nach Unſterblichkeit ſehnet?
Und dieſe Sehnſucht ſollte wie Spreu zer-
ſtreut werden? Die meiſten unſerer Bruͤder
ſterben gemeinhin in Fragzeichen, einige in
Verwunderungszeichen, viele in Comma.
Wer ſtirbt im Punktum? Und ſollte der
Menſch ſeinem Oberherrn trotzen koͤnnen?
Sollte er, wenn es ihn gut duͤnkt, in der
Welt Brand ſtiften, alle Kinder, die jaͤhrig
und drunter ſind, in Bethlehem morden laßen,

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[188/0194] ehren jeden Mann, der ſo wenig Beduͤrſniße hat, und halten den Genuß, die ganze Sinn- lichkeit, fuͤr Etwas, das unſchicklich iſt. Un- ſere Talente ſelbſt, was laͤßt ſich nicht von ihnen erwarten? Was iſt nicht ſchon erfun- den, und das Reich der Moͤglichkeit, wer kennt ſeine Graͤnzen? Ich erſtaune, wenn ich die Geſchichte mir uͤber tauſend Jahre denke. Sollte uns Gott geſchaffen haben, um unſerer zu ſpotten? Monarchen, und auch Salomons unter ihnen, brauchen luſtige Raͤthe. Wie? Das hoͤchſte Weſen ſollte Menſchen zu ſolch einer Abſicht — oder im Zorn ſollte Gott den Menſchen gemacht ha- ben, wie einige Gottſchaͤnder gewaͤhnt? Und was iſt ſelbſt leichter zu denken, daß wir blei- ben, oder daß wir aufhoͤren werden? Wer iſt, der ſich nicht nach Unſterblichkeit ſehnet? Und dieſe Sehnſucht ſollte wie Spreu zer- ſtreut werden? Die meiſten unſerer Bruͤder ſterben gemeinhin in Fragzeichen, einige in Verwunderungszeichen, viele in Comma. Wer ſtirbt im Punktum? Und ſollte der Menſch ſeinem Oberherrn trotzen koͤnnen? Sollte er, wenn es ihn gut duͤnkt, in der Welt Brand ſtiften, alle Kinder, die jaͤhrig und drunter ſind, in Bethlehem morden laßen, und

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/194>, abgerufen am 23.11.2024.