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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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hen; wir, die wir den Mond nicht bespannen
können, wollen Gottes Gerechtigkeit und
Barmherzigkeit behügeln und begrenzen; wir,
die wir die Fixsterne nicht zu zählen verstehen,
(Mensch, kannst du sie zählen?) wollen die
Ewigkeit messen, und eine Schlaguhr für sie
meistern! --

Wer kennt den morgenden Tag, und doch
will man einen Calender über Ewigkeiten
schreiben? Der Anfang und das Ende dieser
Welt sind uns Geheimnisse; und wir glauben,
einen Maasstab für die Himmel der Himmel
zu besitzen! Hat der Christ einen nähern Weg,
als wir? Gut für ihn! Unsere Bahn ist die
Landstraße; diese Bahn ist plan und natür-
lich. Im Glauben kommen wir mit dem
Christen überein, als wenn wir unter einem
Mutterherzen gelegen hätten, nur sein Glaube
hat ein ander Feld, als der werthe unsrige.
Wir wollen so leben, als könnten wir eine
andre Welt sinnlich machen, so fingersinnlich,
als daß zweymahl zwey vier ist! Als wären
wir, wie die Christen, bis in den Himmel
entzückt gewesen. Denn fragt euch selbst,
Freunde! wenn euer Mund auch an der an-
dern Welt zweifelt, um eure Kunst in Zwei-
feln zu zeigen; als obs Kunst zu zweifeln

wäre?

hen; wir, die wir den Mond nicht beſpannen
koͤnnen, wollen Gottes Gerechtigkeit und
Barmherzigkeit behuͤgeln und begrenzen; wir,
die wir die Fixſterne nicht zu zaͤhlen verſtehen,
(Menſch, kannſt du ſie zaͤhlen?) wollen die
Ewigkeit meſſen, und eine Schlaguhr fuͤr ſie
meiſtern! —

Wer kennt den morgenden Tag, und doch
will man einen Calender uͤber Ewigkeiten
ſchreiben? Der Anfang und das Ende dieſer
Welt ſind uns Geheimniſſe; und wir glauben,
einen Maasſtab fuͤr die Himmel der Himmel
zu beſitzen! Hat der Chriſt einen naͤhern Weg,
als wir? Gut fuͤr ihn! Unſere Bahn iſt die
Landſtraße; dieſe Bahn iſt plan und natuͤr-
lich. Im Glauben kommen wir mit dem
Chriſten uͤberein, als wenn wir unter einem
Mutterherzen gelegen haͤtten, nur ſein Glaube
hat ein ander Feld, als der werthe unſrige.
Wir wollen ſo leben, als koͤnnten wir eine
andre Welt ſinnlich machen, ſo fingerſinnlich,
als daß zweymahl zwey vier iſt! Als waͤren
wir, wie die Chriſten, bis in den Himmel
entzuͤckt geweſen. Denn fragt euch ſelbſt,
Freunde! wenn euer Mund auch an der an-
dern Welt zweifelt, um eure Kunſt in Zwei-
feln zu zeigen; als obs Kunſt zu zweifeln

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[196/0202] hen; wir, die wir den Mond nicht beſpannen koͤnnen, wollen Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit behuͤgeln und begrenzen; wir, die wir die Fixſterne nicht zu zaͤhlen verſtehen, (Menſch, kannſt du ſie zaͤhlen?) wollen die Ewigkeit meſſen, und eine Schlaguhr fuͤr ſie meiſtern! — Wer kennt den morgenden Tag, und doch will man einen Calender uͤber Ewigkeiten ſchreiben? Der Anfang und das Ende dieſer Welt ſind uns Geheimniſſe; und wir glauben, einen Maasſtab fuͤr die Himmel der Himmel zu beſitzen! Hat der Chriſt einen naͤhern Weg, als wir? Gut fuͤr ihn! Unſere Bahn iſt die Landſtraße; dieſe Bahn iſt plan und natuͤr- lich. Im Glauben kommen wir mit dem Chriſten uͤberein, als wenn wir unter einem Mutterherzen gelegen haͤtten, nur ſein Glaube hat ein ander Feld, als der werthe unſrige. Wir wollen ſo leben, als koͤnnten wir eine andre Welt ſinnlich machen, ſo fingerſinnlich, als daß zweymahl zwey vier iſt! Als waͤren wir, wie die Chriſten, bis in den Himmel entzuͤckt geweſen. Denn fragt euch ſelbſt, Freunde! wenn euer Mund auch an der an- dern Welt zweifelt, um eure Kunſt in Zwei- feln zu zeigen; als obs Kunſt zu zweifeln waͤre?

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/202>, abgerufen am 10.05.2024.