uns, und wir Gott sehen. Christus ist der erste in der Menschenfamilie, der Chef des menschlichen Geschlechts, der zweyte Adam, der uns den Weg wies, eine verlohrne Fe- stung einzunehmen, und wieder ins Paradies zu kommen, wo keine Schildwache mehr steht. Er ist der Erstgebohrne; denn Adam aus dem Paradiese war nicht gebohren, sondern auf- gehaucht. Außer diesem Verdienstlichen, welch ein Muster im Tod, ist sein Tod? Sein Leben sey mein Leben; sein Tod der meinige. Wer starb so, als dieser Fürst des Lebens? Daß Muß des Weisen ist so wenig trosthal- tig, daß er sich vielmehr wieder frägt: war- um muß ich? Wenn ich den Schmerz ver- beiße, leid ich nicht? Ich stoße zurück, was heraus will! -- und da der Nichtchrist un- gewiß ist, ob sein Lebensziel nicht auch so- gleich sein ganzes Ziel sey; wie sehr ist er ein Knecht seines ganzen Lebens, ein Knecht von der Stunde des Todes. All' Pulsschlag schlägt sich der Gedanke auf: nicht etwa diese Nacht, sondern diese Stunde, diesen Augen- blick, kann man, nicht etwa blos deine Seele, sondern dich ganz von dir fordern, und was wird seyn, das du gesammlet hast? Elender Nachruhm! Du Unsterblichkeitsanalogon
des
O
uns, und wir Gott ſehen. Chriſtus iſt der erſte in der Menſchenfamilie, der Chef des menſchlichen Geſchlechts, der zweyte Adam, der uns den Weg wies, eine verlohrne Fe- ſtung einzunehmen, und wieder ins Paradies zu kommen, wo keine Schildwache mehr ſteht. Er iſt der Erſtgebohrne; denn Adam aus dem Paradieſe war nicht gebohren, ſondern auf- gehaucht. Außer dieſem Verdienſtlichen, welch ein Muſter im Tod, iſt ſein Tod? Sein Leben ſey mein Leben; ſein Tod der meinige. Wer ſtarb ſo, als dieſer Fuͤrſt des Lebens? Daß Muß des Weiſen iſt ſo wenig troſthal- tig, daß er ſich vielmehr wieder fraͤgt: war- um muß ich? Wenn ich den Schmerz ver- beiße, leid ich nicht? Ich ſtoße zuruͤck, was heraus will! — und da der Nichtchriſt un- gewiß iſt, ob ſein Lebensziel nicht auch ſo- gleich ſein ganzes Ziel ſey; wie ſehr iſt er ein Knecht ſeines ganzen Lebens, ein Knecht von der Stunde des Todes. All’ Pulsſchlag ſchlaͤgt ſich der Gedanke auf: nicht etwa dieſe Nacht, ſondern dieſe Stunde, dieſen Augen- blick, kann man, nicht etwa blos deine Seele, ſondern dich ganz von dir fordern, und was wird ſeyn, das du geſammlet haſt? Elender Nachruhm! Du Unſterblichkeitsanalogon
des
O
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0215"n="209"/>
uns, und wir Gott ſehen. Chriſtus iſt der<lb/>
erſte in der Menſchenfamilie, der Chef des<lb/>
menſchlichen Geſchlechts, der zweyte Adam,<lb/>
der uns den Weg wies, eine verlohrne Fe-<lb/>ſtung einzunehmen, und wieder ins Paradies<lb/>
zu kommen, wo keine Schildwache mehr ſteht.<lb/>
Er iſt der Erſtgebohrne; denn Adam aus dem<lb/>
Paradieſe war nicht gebohren, ſondern auf-<lb/>
gehaucht. Außer dieſem Verdienſtlichen,<lb/>
welch ein Muſter im Tod, iſt ſein Tod? Sein<lb/>
Leben ſey mein Leben; ſein Tod der meinige.<lb/>
Wer ſtarb ſo, als dieſer Fuͤrſt des Lebens?<lb/>
Daß <hirendition="#fr">Muß</hi> des Weiſen iſt ſo wenig troſthal-<lb/>
tig, daß er ſich vielmehr wieder fraͤgt: war-<lb/>
um muß ich? Wenn ich den Schmerz ver-<lb/>
beiße, leid ich nicht? Ich ſtoße zuruͤck, was<lb/>
heraus will! — und da der Nichtchriſt un-<lb/>
gewiß iſt, ob ſein Lebensziel nicht auch ſo-<lb/>
gleich ſein ganzes Ziel ſey; wie ſehr iſt er ein<lb/>
Knecht ſeines ganzen Lebens, ein Knecht von<lb/>
der Stunde des Todes. All’ Pulsſchlag<lb/>ſchlaͤgt ſich der Gedanke auf: nicht etwa dieſe<lb/>
Nacht, ſondern dieſe Stunde, dieſen Augen-<lb/>
blick, kann man, nicht etwa blos deine Seele,<lb/>ſondern dich ganz von dir fordern, und was<lb/>
wird ſeyn, das du geſammlet haſt? Elender<lb/>
Nachruhm! Du Unſterblichkeitsanalogon<lb/><fwplace="bottom"type="sig">O</fw><fwplace="bottom"type="catch">des</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[209/0215]
uns, und wir Gott ſehen. Chriſtus iſt der
erſte in der Menſchenfamilie, der Chef des
menſchlichen Geſchlechts, der zweyte Adam,
der uns den Weg wies, eine verlohrne Fe-
ſtung einzunehmen, und wieder ins Paradies
zu kommen, wo keine Schildwache mehr ſteht.
Er iſt der Erſtgebohrne; denn Adam aus dem
Paradieſe war nicht gebohren, ſondern auf-
gehaucht. Außer dieſem Verdienſtlichen,
welch ein Muſter im Tod, iſt ſein Tod? Sein
Leben ſey mein Leben; ſein Tod der meinige.
Wer ſtarb ſo, als dieſer Fuͤrſt des Lebens?
Daß Muß des Weiſen iſt ſo wenig troſthal-
tig, daß er ſich vielmehr wieder fraͤgt: war-
um muß ich? Wenn ich den Schmerz ver-
beiße, leid ich nicht? Ich ſtoße zuruͤck, was
heraus will! — und da der Nichtchriſt un-
gewiß iſt, ob ſein Lebensziel nicht auch ſo-
gleich ſein ganzes Ziel ſey; wie ſehr iſt er ein
Knecht ſeines ganzen Lebens, ein Knecht von
der Stunde des Todes. All’ Pulsſchlag
ſchlaͤgt ſich der Gedanke auf: nicht etwa dieſe
Nacht, ſondern dieſe Stunde, dieſen Augen-
blick, kann man, nicht etwa blos deine Seele,
ſondern dich ganz von dir fordern, und was
wird ſeyn, das du geſammlet haſt? Elender
Nachruhm! Du Unſterblichkeitsanalogon
des
O
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/215>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.