Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

die Sünde! wie sie wolt und nicht konnte!
Wo ist ihr Sieg? Und wenn der Zweifel-
kopf der Vernunft, und wenn das eigene
Herz schüttelt, und spricht lauter Nein!
Er weiß! -- Zwar ehrt er den Namen Got-
tes unter dem Patent, das die Vernunft vor-
zeiget, er läßt ihr ein freyes Votum; allein
er verlangt auch eins. Was weiß die Ver-
nunft von der Zusammennehmung dieses und
jenes Lebens, dem ersten und zweyten Theil des
Menschen: von unsern Schicksalen, vom er-
sten Menschen? Von der Sprache, dem
göttlichen Unterricht, bis auf die Kleider
zu? --

Nicht so, nicht so ist die Vernunft im Le-
ben und im Tode? Der Christ weiß, sein
Tod sey nur Verwandlung, Verklärung, me-
lior compositio
ohne grammaticalische Fehler,
ohne Flecken, ohne Runzel oder des Etwas.
Alles schön gegeben, vortreflich ausgedruckt.
Die zweyte Auflage, und auch die, so mit ihm
aus einem Gesangbuch sangen, in einer Bi-
bel lasen, auch die, wie er. Was traurst du,
arme Wittwe, um den einzigen Sohn, mein
Meister spricht: weine nicht! Zwar er-
weckt er nicht mehr einzeln die Todten, denn
auch die Erweckten sind wieder gestorben, oder

was

die Suͤnde! wie ſie wolt und nicht konnte!
Wo iſt ihr Sieg? Und wenn der Zweifel-
kopf der Vernunft, und wenn das eigene
Herz ſchuͤttelt, und ſpricht lauter Nein!
Er weiß! — Zwar ehrt er den Namen Got-
tes unter dem Patent, das die Vernunft vor-
zeiget, er laͤßt ihr ein freyes Votum; allein
er verlangt auch eins. Was weiß die Ver-
nunft von der Zuſammennehmung dieſes und
jenes Lebens, dem erſten und zweyten Theil des
Menſchen: von unſern Schickſalen, vom er-
ſten Menſchen? Von der Sprache, dem
goͤttlichen Unterricht, bis auf die Kleider
zu? —

Nicht ſo, nicht ſo iſt die Vernunft im Le-
ben und im Tode? Der Chriſt weiß, ſein
Tod ſey nur Verwandlung, Verklaͤrung, me-
lior compoſitio
ohne grammaticaliſche Fehler,
ohne Flecken, ohne Runzel oder des Etwas.
Alles ſchoͤn gegeben, vortreflich ausgedruckt.
Die zweyte Auflage, und auch die, ſo mit ihm
aus einem Geſangbuch ſangen, in einer Bi-
bel laſen, auch die, wie er. Was traurſt du,
arme Wittwe, um den einzigen Sohn, mein
Meiſter ſpricht: weine nicht! Zwar er-
weckt er nicht mehr einzeln die Todten, denn
auch die Erweckten ſind wieder geſtorben, oder

was
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0218" n="212"/>
die Su&#x0364;nde! wie &#x017F;ie wolt und nicht konnte!<lb/>
Wo i&#x017F;t ihr Sieg? Und wenn der Zweifel-<lb/>
kopf der Vernunft, und wenn das eigene<lb/>
Herz &#x017F;chu&#x0364;ttelt, und &#x017F;pricht <hi rendition="#fr">lauter Nein!</hi><lb/>
Er weiß! &#x2014; Zwar ehrt er den Namen Got-<lb/>
tes unter dem Patent, das die Vernunft vor-<lb/>
zeiget, er la&#x0364;ßt ihr ein freyes Votum; allein<lb/>
er verlangt auch eins. Was weiß die Ver-<lb/>
nunft von der Zu&#x017F;ammennehmung die&#x017F;es und<lb/>
jenes Lebens, dem er&#x017F;ten und zweyten Theil des<lb/>
Men&#x017F;chen: von un&#x017F;ern Schick&#x017F;alen, vom er-<lb/>
&#x017F;ten Men&#x017F;chen? Von der Sprache, dem<lb/>
go&#x0364;ttlichen Unterricht, bis auf die Kleider<lb/>
zu? &#x2014;</p><lb/>
        <p>Nicht &#x017F;o, nicht &#x017F;o i&#x017F;t die Vernunft im Le-<lb/>
ben und im Tode? Der Chri&#x017F;t weiß, &#x017F;ein<lb/>
Tod &#x017F;ey nur Verwandlung, Verkla&#x0364;rung, <hi rendition="#aq">me-<lb/>
lior compo&#x017F;itio</hi> ohne grammaticali&#x017F;che Fehler,<lb/>
ohne Flecken, ohne Runzel oder des Etwas.<lb/>
Alles &#x017F;cho&#x0364;n gegeben, vortreflich ausgedruckt.<lb/>
Die zweyte Auflage, und auch die, &#x017F;o mit ihm<lb/>
aus einem Ge&#x017F;angbuch &#x017F;angen, in einer Bi-<lb/>
bel la&#x017F;en, auch die, wie er. Was traur&#x017F;t du,<lb/>
arme Wittwe, um den einzigen Sohn, mein<lb/>
Mei&#x017F;ter &#x017F;pricht: <hi rendition="#fr">weine nicht!</hi> Zwar er-<lb/>
weckt er nicht mehr einzeln die Todten, denn<lb/>
auch die Erweckten &#x017F;ind wieder ge&#x017F;torben, oder<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">was</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[212/0218] die Suͤnde! wie ſie wolt und nicht konnte! Wo iſt ihr Sieg? Und wenn der Zweifel- kopf der Vernunft, und wenn das eigene Herz ſchuͤttelt, und ſpricht lauter Nein! Er weiß! — Zwar ehrt er den Namen Got- tes unter dem Patent, das die Vernunft vor- zeiget, er laͤßt ihr ein freyes Votum; allein er verlangt auch eins. Was weiß die Ver- nunft von der Zuſammennehmung dieſes und jenes Lebens, dem erſten und zweyten Theil des Menſchen: von unſern Schickſalen, vom er- ſten Menſchen? Von der Sprache, dem goͤttlichen Unterricht, bis auf die Kleider zu? — Nicht ſo, nicht ſo iſt die Vernunft im Le- ben und im Tode? Der Chriſt weiß, ſein Tod ſey nur Verwandlung, Verklaͤrung, me- lior compoſitio ohne grammaticaliſche Fehler, ohne Flecken, ohne Runzel oder des Etwas. Alles ſchoͤn gegeben, vortreflich ausgedruckt. Die zweyte Auflage, und auch die, ſo mit ihm aus einem Geſangbuch ſangen, in einer Bi- bel laſen, auch die, wie er. Was traurſt du, arme Wittwe, um den einzigen Sohn, mein Meiſter ſpricht: weine nicht! Zwar er- weckt er nicht mehr einzeln die Todten, denn auch die Erweckten ſind wieder geſtorben, oder was

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/218
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/218>, abgerufen am 21.11.2024.