Gott weckt alle Frühjahre Todte auf, und je- der Augenblick ist eine Auferstehung. In je- dem Felde sind Schaaren Evangelisten, die uns die Lehre der Wiedergeburt, des Wieder- lebens alles Fleisches, das wie Heu ist, ver- kündigen. Wir ziehen aus diesem Leibe, um in eine andre himmlische Wohnung einzuzie- hen, wie aus der Pacht ins Eigenthum. So verwandeln sich vor unsern Augen unzählige Dinge. -- Der Geist ist der eigentliche Mensch, dieser Jünger Christi stirbet nicht. Der Pfeil des Todes trift nur den Leib. So bald es zum Sterben geht, beruhet alles auf der Einbildung derer, so nicht sterben und sterben sehen. Seht ihr denn den Geist, ihr Händeringer? Er ist in Gottes Hand und keine Quaal rühret ihn an, und warum sollte der Geist um diesen Leib und dies Gebein zittern und zagen? Warum solt' er beym Leichenbegängnis im ersten Paar, wie ein leidtragender Wittwer, gehen? Wie viel mahl soll ich den Trost des Christen wieder- hohlen? Auch sein Leib wird nicht unterge- hen. Pflanze und Thier fordern das zurück, was ihnen zugehört, und was ist denn, was wir ihnen zurückgeben? Ist es nicht Etwas, das uns oft so lästig war? -- In der Natur
ist
O 5
Gott weckt alle Fruͤhjahre Todte auf, und je- der Augenblick iſt eine Auferſtehung. In je- dem Felde ſind Schaaren Evangeliſten, die uns die Lehre der Wiedergeburt, des Wieder- lebens alles Fleiſches, das wie Heu iſt, ver- kuͤndigen. Wir ziehen aus dieſem Leibe, um in eine andre himmliſche Wohnung einzuzie- hen, wie aus der Pacht ins Eigenthum. So verwandeln ſich vor unſern Augen unzaͤhlige Dinge. — Der Geiſt iſt der eigentliche Menſch, dieſer Juͤnger Chriſti ſtirbet nicht. Der Pfeil des Todes trift nur den Leib. So bald es zum Sterben geht, beruhet alles auf der Einbildung derer, ſo nicht ſterben und ſterben ſehen. Seht ihr denn den Geiſt, ihr Haͤnderinger? Er iſt in Gottes Hand und keine Quaal ruͤhret ihn an, und warum ſollte der Geiſt um dieſen Leib und dies Gebein zittern und zagen? Warum ſolt’ er beym Leichenbegaͤngnis im erſten Paar, wie ein leidtragender Wittwer, gehen? Wie viel mahl ſoll ich den Troſt des Chriſten wieder- hohlen? Auch ſein Leib wird nicht unterge- hen. Pflanze und Thier fordern das zuruͤck, was ihnen zugehoͤrt, und was iſt denn, was wir ihnen zuruͤckgeben? Iſt es nicht Etwas, das uns oft ſo laͤſtig war? — In der Natur
iſt
O 5
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0223"n="217"/>
Gott weckt alle Fruͤhjahre Todte auf, und je-<lb/>
der Augenblick iſt eine Auferſtehung. In je-<lb/>
dem Felde ſind Schaaren Evangeliſten, die<lb/>
uns die Lehre der Wiedergeburt, des Wieder-<lb/>
lebens alles Fleiſches, das wie Heu iſt, ver-<lb/>
kuͤndigen. Wir ziehen aus dieſem Leibe, um<lb/>
in eine andre himmliſche Wohnung einzuzie-<lb/>
hen, wie aus der Pacht ins Eigenthum. So<lb/>
verwandeln ſich vor unſern Augen unzaͤhlige<lb/>
Dinge. — Der Geiſt iſt der eigentliche<lb/>
Menſch, dieſer Juͤnger Chriſti ſtirbet nicht.<lb/>
Der Pfeil des Todes trift nur den Leib. So<lb/>
bald es zum Sterben geht, beruhet alles auf<lb/>
der Einbildung derer, ſo nicht ſterben und<lb/>ſterben ſehen. Seht ihr denn <hirendition="#fr">den Geiſt,</hi><lb/>
ihr Haͤnderinger? Er iſt in Gottes Hand<lb/>
und keine Quaal ruͤhret ihn an, und warum<lb/>ſollte der Geiſt um dieſen Leib und dies Gebein<lb/>
zittern und zagen? Warum ſolt’ er beym<lb/>
Leichenbegaͤngnis im erſten Paar, wie ein<lb/>
leidtragender Wittwer, gehen? Wie viel<lb/>
mahl ſoll ich den Troſt des Chriſten wieder-<lb/>
hohlen? Auch ſein Leib wird nicht unterge-<lb/>
hen. Pflanze und Thier fordern das zuruͤck,<lb/>
was ihnen zugehoͤrt, und was iſt denn, was<lb/>
wir ihnen zuruͤckgeben? Iſt es nicht Etwas,<lb/>
das uns oft ſo laͤſtig war? — In der Natur<lb/><fwplace="bottom"type="sig">O 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">iſt</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[217/0223]
Gott weckt alle Fruͤhjahre Todte auf, und je-
der Augenblick iſt eine Auferſtehung. In je-
dem Felde ſind Schaaren Evangeliſten, die
uns die Lehre der Wiedergeburt, des Wieder-
lebens alles Fleiſches, das wie Heu iſt, ver-
kuͤndigen. Wir ziehen aus dieſem Leibe, um
in eine andre himmliſche Wohnung einzuzie-
hen, wie aus der Pacht ins Eigenthum. So
verwandeln ſich vor unſern Augen unzaͤhlige
Dinge. — Der Geiſt iſt der eigentliche
Menſch, dieſer Juͤnger Chriſti ſtirbet nicht.
Der Pfeil des Todes trift nur den Leib. So
bald es zum Sterben geht, beruhet alles auf
der Einbildung derer, ſo nicht ſterben und
ſterben ſehen. Seht ihr denn den Geiſt,
ihr Haͤnderinger? Er iſt in Gottes Hand
und keine Quaal ruͤhret ihn an, und warum
ſollte der Geiſt um dieſen Leib und dies Gebein
zittern und zagen? Warum ſolt’ er beym
Leichenbegaͤngnis im erſten Paar, wie ein
leidtragender Wittwer, gehen? Wie viel
mahl ſoll ich den Troſt des Chriſten wieder-
hohlen? Auch ſein Leib wird nicht unterge-
hen. Pflanze und Thier fordern das zuruͤck,
was ihnen zugehoͤrt, und was iſt denn, was
wir ihnen zuruͤckgeben? Iſt es nicht Etwas,
das uns oft ſo laͤſtig war? — In der Natur
iſt
O 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/223>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.