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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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Weisen! da ihr selbst nicht leugnen könnet,
Weisheit aus dem Volk und aus dem Volks-
buch, aus der Bibel, geschöpft zu haben,
warum gebt ihr nicht verständlich wieder, was
ihr verständlich empfienget, und was ists
denn, was euch selbst zustehet? Der Christ
weiß, an wen er glaubet. Von diesem Glau-
ben des Christen hat der Nichtchrist keine
Vorstellung. Es ist ein lebendiger, ein wis-
sender Glaube. Gott sandte uns nicht ein
Buch herab, voll Worte und Meynungen,
fein sauber geschrieben. Unsere Vorfahren
waren Geisterseher; allein wir? wir sahen
Christum, den Anfänger und Vollender un-
sers Glaubens. Hier ist Sache, That, Be-
gebenheit, Wahrheit. Er war zwar Mensch;
allein Gottmensch. Man sah' ihn, und wir
sehen ihn noch in Begebenheiten mancherley
Art. Sein Geist blieb bey uns! -- Chri-
stus lies sich nicht mahlen; denn da hätte
man nur eine Stellung von ihm gehabt; son-
dern er ward gebohren, lebte, lehrte, starb! --
Er lehrte durch Thaten, er lebte durch Leh-
ren! -- Was von seinem Leben geschrieben
worden, ist auch Leben. Einfalt ist die Art,
womit alles behandelt wird; allein Einfalt ist
die ächte Tochter alles Guten, alles Wahren,

alles

Weiſen! da ihr ſelbſt nicht leugnen koͤnnet,
Weisheit aus dem Volk und aus dem Volks-
buch, aus der Bibel, geſchoͤpft zu haben,
warum gebt ihr nicht verſtaͤndlich wieder, was
ihr verſtaͤndlich empfienget, und was iſts
denn, was euch ſelbſt zuſtehet? Der Chriſt
weiß, an wen er glaubet. Von dieſem Glau-
ben des Chriſten hat der Nichtchriſt keine
Vorſtellung. Es iſt ein lebendiger, ein wiſ-
ſender Glaube. Gott ſandte uns nicht ein
Buch herab, voll Worte und Meynungen,
fein ſauber geſchrieben. Unſere Vorfahren
waren Geiſterſeher; allein wir? wir ſahen
Chriſtum, den Anfaͤnger und Vollender un-
ſers Glaubens. Hier iſt Sache, That, Be-
gebenheit, Wahrheit. Er war zwar Menſch;
allein Gottmenſch. Man ſah’ ihn, und wir
ſehen ihn noch in Begebenheiten mancherley
Art. Sein Geiſt blieb bey uns! — Chri-
ſtus lies ſich nicht mahlen; denn da haͤtte
man nur eine Stellung von ihm gehabt; ſon-
dern er ward gebohren, lebte, lehrte, ſtarb! —
Er lehrte durch Thaten, er lebte durch Leh-
ren! — Was von ſeinem Leben geſchrieben
worden, iſt auch Leben. Einfalt iſt die Art,
womit alles behandelt wird; allein Einfalt iſt
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[223/0229] Weiſen! da ihr ſelbſt nicht leugnen koͤnnet, Weisheit aus dem Volk und aus dem Volks- buch, aus der Bibel, geſchoͤpft zu haben, warum gebt ihr nicht verſtaͤndlich wieder, was ihr verſtaͤndlich empfienget, und was iſts denn, was euch ſelbſt zuſtehet? Der Chriſt weiß, an wen er glaubet. Von dieſem Glau- ben des Chriſten hat der Nichtchriſt keine Vorſtellung. Es iſt ein lebendiger, ein wiſ- ſender Glaube. Gott ſandte uns nicht ein Buch herab, voll Worte und Meynungen, fein ſauber geſchrieben. Unſere Vorfahren waren Geiſterſeher; allein wir? wir ſahen Chriſtum, den Anfaͤnger und Vollender un- ſers Glaubens. Hier iſt Sache, That, Be- gebenheit, Wahrheit. Er war zwar Menſch; allein Gottmenſch. Man ſah’ ihn, und wir ſehen ihn noch in Begebenheiten mancherley Art. Sein Geiſt blieb bey uns! — Chri- ſtus lies ſich nicht mahlen; denn da haͤtte man nur eine Stellung von ihm gehabt; ſon- dern er ward gebohren, lebte, lehrte, ſtarb! — Er lehrte durch Thaten, er lebte durch Leh- ren! — Was von ſeinem Leben geſchrieben worden, iſt auch Leben. Einfalt iſt die Art, womit alles behandelt wird; allein Einfalt iſt die aͤchte Tochter alles Guten, alles Wahren, alles

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/229>, abgerufen am 10.05.2024.