Es giebt baare Kenntnisse, und Kennt- nisse auf Verfalltage. Das Christenthum hat von beyden sein Theil. Die wichtigsten Arti- kel können durchs Leben bewiesen werden! -- Ich lebe, sagt Christus, und ihr solt auch leben.
Ich weiß eure Einwendungen, ihr Wei- sen der Welt.
Das Christenthum, sagt ihr, habe den Muth gehemmt, froh zu leben und froh zu sterben. Es lehre, daß nur wenig Auser- wählte seyn werden! Allein was ist besser, seine Seligkeit schaffen mit Furcht und Zittern, oder wider besser Wissen und Gewissen han- deln? Es ist ein Aufwaschen, bringt ihr Leicht- sinnige bey; allein seyd ihr schon von eurem Gewissen je in Anspruch genommen? Seyd ihr schon in der Tinte gewesen? Glaubt ihr denn, daß das Auge, welches seinem Näch- sten nach Leib und Leben stand, mit einer Thräne der Reue abgewaschen werden könne?
Wenn die reine Vernunft lehret, sich so zu führen, daß, wenn ein Gott und eine Ewigkeit wäre, wir seine Kinder und die Er- ben des Himmels zu seyn das Recht hätten; so lehret sie uns etwas übermenschliches! -- So bald wir zweifeln, Freunde, so bricht die
Sinn-
Es giebt baare Kenntniſſe, und Kennt- niſſe auf Verfalltage. Das Chriſtenthum hat von beyden ſein Theil. Die wichtigſten Arti- kel koͤnnen durchs Leben bewieſen werden! — Ich lebe, ſagt Chriſtus, und ihr ſolt auch leben.
Ich weiß eure Einwendungen, ihr Wei- ſen der Welt.
Das Chriſtenthum, ſagt ihr, habe den Muth gehemmt, froh zu leben und froh zu ſterben. Es lehre, daß nur wenig Auser- waͤhlte ſeyn werden! Allein was iſt beſſer, ſeine Seligkeit ſchaffen mit Furcht und Zittern, oder wider beſſer Wiſſen und Gewiſſen han- deln? Es iſt ein Aufwaſchen, bringt ihr Leicht- ſinnige bey; allein ſeyd ihr ſchon von eurem Gewiſſen je in Anſpruch genommen? Seyd ihr ſchon in der Tinte geweſen? Glaubt ihr denn, daß das Auge, welches ſeinem Naͤch- ſten nach Leib und Leben ſtand, mit einer Thraͤne der Reue abgewaſchen werden koͤnne?
Wenn die reine Vernunft lehret, ſich ſo zu fuͤhren, daß, wenn ein Gott und eine Ewigkeit waͤre, wir ſeine Kinder und die Er- ben des Himmels zu ſeyn das Recht haͤtten; ſo lehret ſie uns etwas uͤbermenſchliches! — So bald wir zweifeln, Freunde, ſo bricht die
Sinn-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0232"n="226"/><p>Es giebt baare Kenntniſſe, und Kennt-<lb/>
niſſe auf Verfalltage. Das Chriſtenthum hat<lb/>
von beyden ſein Theil. Die wichtigſten Arti-<lb/>
kel koͤnnen durchs Leben bewieſen werden! —<lb/>
Ich lebe, ſagt Chriſtus, und ihr ſolt auch<lb/>
leben.</p><lb/><p>Ich weiß eure Einwendungen, ihr Wei-<lb/>ſen der Welt.</p><lb/><p>Das Chriſtenthum, ſagt ihr, habe den<lb/>
Muth gehemmt, froh zu leben und froh zu<lb/>ſterben. Es lehre, daß nur wenig Auser-<lb/>
waͤhlte ſeyn werden! Allein was iſt beſſer,<lb/>ſeine Seligkeit ſchaffen mit Furcht und Zittern,<lb/>
oder wider beſſer Wiſſen und Gewiſſen han-<lb/>
deln? Es iſt ein Aufwaſchen, bringt ihr Leicht-<lb/>ſinnige bey; allein ſeyd ihr ſchon von eurem<lb/>
Gewiſſen je in Anſpruch genommen? Seyd<lb/>
ihr ſchon in der Tinte geweſen? Glaubt ihr<lb/>
denn, daß das Auge, welches ſeinem Naͤch-<lb/>ſten nach Leib und Leben ſtand, mit einer<lb/>
Thraͤne der Reue abgewaſchen werden koͤnne?</p><lb/><p>Wenn die reine Vernunft lehret, ſich ſo<lb/>
zu fuͤhren, daß, wenn ein Gott und eine<lb/>
Ewigkeit waͤre, wir ſeine Kinder und die Er-<lb/>
ben des Himmels zu ſeyn das Recht haͤtten;<lb/>ſo lehret ſie uns etwas uͤbermenſchliches! —<lb/>
So bald wir zweifeln, Freunde, ſo bricht die<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Sinn-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[226/0232]
Es giebt baare Kenntniſſe, und Kennt-
niſſe auf Verfalltage. Das Chriſtenthum hat
von beyden ſein Theil. Die wichtigſten Arti-
kel koͤnnen durchs Leben bewieſen werden! —
Ich lebe, ſagt Chriſtus, und ihr ſolt auch
leben.
Ich weiß eure Einwendungen, ihr Wei-
ſen der Welt.
Das Chriſtenthum, ſagt ihr, habe den
Muth gehemmt, froh zu leben und froh zu
ſterben. Es lehre, daß nur wenig Auser-
waͤhlte ſeyn werden! Allein was iſt beſſer,
ſeine Seligkeit ſchaffen mit Furcht und Zittern,
oder wider beſſer Wiſſen und Gewiſſen han-
deln? Es iſt ein Aufwaſchen, bringt ihr Leicht-
ſinnige bey; allein ſeyd ihr ſchon von eurem
Gewiſſen je in Anſpruch genommen? Seyd
ihr ſchon in der Tinte geweſen? Glaubt ihr
denn, daß das Auge, welches ſeinem Naͤch-
ſten nach Leib und Leben ſtand, mit einer
Thraͤne der Reue abgewaſchen werden koͤnne?
Wenn die reine Vernunft lehret, ſich ſo
zu fuͤhren, daß, wenn ein Gott und eine
Ewigkeit waͤre, wir ſeine Kinder und die Er-
ben des Himmels zu ſeyn das Recht haͤtten;
ſo lehret ſie uns etwas uͤbermenſchliches! —
So bald wir zweifeln, Freunde, ſo bricht die
Sinn-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/232>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.