Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Worte drinn vorkämen: da acht Tage um
waren. Also von der Zeit -- O du liebe
Zeit! exclamiren einige Leute im Sprüchwort.
In der Entfernung ist sonst alles klein, nur
die Zeit nicht. --

Der Graf setzte einem seiner Pathen, der
nur sieben Wochen gelebt hatte, selbst eigen-
händig die Grabschrift: Aus einem Mutter-
schoos in den andern. --

Der Schlaf war ehe in der Welt, als der
Tod. Das Vorbild eher, als die Erfüllung.

Auch du wirst sterben, das war des Gra-
fen Condolenz, wenn man würklich traurte
um einen Todten.

Gehst du aus der Welt, wenn du stirbst?
Deine Seele entschwebt nur den Dünsten die-
ser Erde! Ewiger Geist der Liebe webt im
Athem der Natur, wo der webt, ist Leben! --

Was mir der Prediger vom Leichenanzuge
im Namen des Grafen sagte, gefiel mir nicht.
Ich stimme mit ihm nicht ein. Warum be-
kleiden wir denn einen nackten Körper, selbst
im Grabe? Wollen wir etwa den Würmern
etwas zu verbeissen geben, ehe sie an uns
kommen? Dem Menschen gefällt nichts, was
ein Bedürfnis verräth. Wir sind in Gesell-
schaft gewohnt, unsere Bedürfnisse zu ver-

hehlen.

Worte drinn vorkaͤmen: da acht Tage um
waren. Alſo von der Zeit — O du liebe
Zeit! exclamiren einige Leute im Spruͤchwort.
In der Entfernung iſt ſonſt alles klein, nur
die Zeit nicht. —

Der Graf ſetzte einem ſeiner Pathen, der
nur ſieben Wochen gelebt hatte, ſelbſt eigen-
haͤndig die Grabſchrift: Aus einem Mutter-
ſchoos in den andern. —

Der Schlaf war ehe in der Welt, als der
Tod. Das Vorbild eher, als die Erfuͤllung.

Auch du wirſt ſterben, das war des Gra-
fen Condolenz, wenn man wuͤrklich traurte
um einen Todten.

Gehſt du aus der Welt, wenn du ſtirbſt?
Deine Seele entſchwebt nur den Duͤnſten die-
ſer Erde! Ewiger Geiſt der Liebe webt im
Athem der Natur, wo der webt, iſt Leben! —

Was mir der Prediger vom Leichenanzuge
im Namen des Grafen ſagte, gefiel mir nicht.
Ich ſtimme mit ihm nicht ein. Warum be-
kleiden wir denn einen nackten Koͤrper, ſelbſt
im Grabe? Wollen wir etwa den Wuͤrmern
etwas zu verbeiſſen geben, ehe ſie an uns
kommen? Dem Menſchen gefaͤllt nichts, was
ein Beduͤrfnis verraͤth. Wir ſind in Geſell-
ſchaft gewohnt, unſere Beduͤrfniſſe zu ver-

hehlen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0245" n="239"/>
Worte drinn vorka&#x0364;men: <hi rendition="#fr">da acht Tage</hi> um<lb/>
waren. Al&#x017F;o von der Zeit &#x2014; O du liebe<lb/>
Zeit! exclamiren einige Leute im Spru&#x0364;chwort.<lb/>
In der Entfernung i&#x017F;t &#x017F;on&#x017F;t alles klein, nur<lb/>
die Zeit nicht. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Der Graf &#x017F;etzte einem &#x017F;einer Pathen, der<lb/>
nur &#x017F;ieben Wochen gelebt hatte, &#x017F;elb&#x017F;t eigen-<lb/>
ha&#x0364;ndig die Grab&#x017F;chrift: Aus einem Mutter-<lb/>
&#x017F;choos in den andern. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Der Schlaf war ehe in der Welt, als der<lb/>
Tod. Das Vorbild eher, als die Erfu&#x0364;llung.</p><lb/>
        <p>Auch du wir&#x017F;t &#x017F;terben, das war des Gra-<lb/>
fen Condolenz, wenn man wu&#x0364;rklich traurte<lb/>
um einen Todten.</p><lb/>
        <p>Geh&#x017F;t du aus der Welt, wenn du &#x017F;tirb&#x017F;t?<lb/>
Deine Seele ent&#x017F;chwebt nur den Du&#x0364;n&#x017F;ten die-<lb/>
&#x017F;er Erde! Ewiger Gei&#x017F;t der Liebe webt im<lb/>
Athem der Natur, wo der webt, i&#x017F;t Leben! &#x2014;</p><lb/>
        <p>Was mir der Prediger vom Leichenanzuge<lb/>
im Namen des Grafen &#x017F;agte, gefiel mir nicht.<lb/>
Ich &#x017F;timme mit ihm nicht ein. Warum be-<lb/>
kleiden wir denn einen nackten Ko&#x0364;rper, &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
im Grabe? Wollen wir etwa den Wu&#x0364;rmern<lb/>
etwas zu verbei&#x017F;&#x017F;en geben, ehe &#x017F;ie an uns<lb/>
kommen? Dem Men&#x017F;chen gefa&#x0364;llt nichts, was<lb/>
ein Bedu&#x0364;rfnis verra&#x0364;th. Wir &#x017F;ind in Ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaft gewohnt, un&#x017F;ere Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e zu ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">hehlen.</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0245] Worte drinn vorkaͤmen: da acht Tage um waren. Alſo von der Zeit — O du liebe Zeit! exclamiren einige Leute im Spruͤchwort. In der Entfernung iſt ſonſt alles klein, nur die Zeit nicht. — Der Graf ſetzte einem ſeiner Pathen, der nur ſieben Wochen gelebt hatte, ſelbſt eigen- haͤndig die Grabſchrift: Aus einem Mutter- ſchoos in den andern. — Der Schlaf war ehe in der Welt, als der Tod. Das Vorbild eher, als die Erfuͤllung. Auch du wirſt ſterben, das war des Gra- fen Condolenz, wenn man wuͤrklich traurte um einen Todten. Gehſt du aus der Welt, wenn du ſtirbſt? Deine Seele entſchwebt nur den Duͤnſten die- ſer Erde! Ewiger Geiſt der Liebe webt im Athem der Natur, wo der webt, iſt Leben! — Was mir der Prediger vom Leichenanzuge im Namen des Grafen ſagte, gefiel mir nicht. Ich ſtimme mit ihm nicht ein. Warum be- kleiden wir denn einen nackten Koͤrper, ſelbſt im Grabe? Wollen wir etwa den Wuͤrmern etwas zu verbeiſſen geben, ehe ſie an uns kommen? Dem Menſchen gefaͤllt nichts, was ein Beduͤrfnis verraͤth. Wir ſind in Geſell- ſchaft gewohnt, unſere Beduͤrfniſſe zu ver- hehlen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/245
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/245>, abgerufen am 21.11.2024.