Der Haupteinwand, den Gretchen aber für sich behielt, war, daß obgleich sie mit zwey Accenten verlangt, daß ich wenigstens noch einmahl nach L -- kommen sollte, ich doch in so langer Zeit nicht gekommen -- -- Zwar hatt' ich geschrieben; allein, da war auch keine Spur, die dieses Obgleich heben, oder nur mindern können.
Ein Brief von mir an Gretchen, der meine Reise nach Göttingen eröfnete, gab allem eine andre Wendung. Der Prediger sahe diesen Brief als eine göttliche Schickung an. Die Predigerin selbst war der Meynung, daß die Relation nicht abgehen dörfe. Er hat doch keinen Amtswachtmeister mehr, setzte Hanna hinzu, und Gretchen? Sie hätte freylich be- denken können, daß ihre Eltern arm wären, und ihre Mutter noch obenein Lindenkrank; allein dies war ihr wenigster Kummer. Es ist nicht die einzigste und sicherste Art, Mäd- chens durch Schmeicheleyen zu fahen. Man sollte kaum glauben, was in einem unbefan- genem Weibsbilde Raum hat. Eine Gros- muth, die über allen Ausdruck ist. Ich ge- traue mir zu behaupten, daß man ein Mäd- chen durch Beleidigungen eben so weit brin- gen kann, als durch Liebkosungen. Wenn
nicht
Der Haupteinwand, den Gretchen aber fuͤr ſich behielt, war, daß obgleich ſie mit zwey Accenten verlangt, daß ich wenigſtens noch einmahl nach L — kommen ſollte, ich doch in ſo langer Zeit nicht gekommen — — Zwar hatt’ ich geſchrieben; allein, da war auch keine Spur, die dieſes Obgleich heben, oder nur mindern koͤnnen.
Ein Brief von mir an Gretchen, der meine Reiſe nach Goͤttingen eroͤfnete, gab allem eine andre Wendung. Der Prediger ſahe dieſen Brief als eine goͤttliche Schickung an. Die Predigerin ſelbſt war der Meynung, daß die Relation nicht abgehen doͤrfe. Er hat doch keinen Amtswachtmeiſter mehr, ſetzte Hanna hinzu, und Gretchen? Sie haͤtte freylich be- denken koͤnnen, daß ihre Eltern arm waͤren, und ihre Mutter noch obenein Lindenkrank; allein dies war ihr wenigſter Kummer. Es iſt nicht die einzigſte und ſicherſte Art, Maͤd- chens durch Schmeicheleyen zu fahen. Man ſollte kaum glauben, was in einem unbefan- genem Weibsbilde Raum hat. Eine Gros- muth, die uͤber allen Ausdruck iſt. Ich ge- traue mir zu behaupten, daß man ein Maͤd- chen durch Beleidigungen eben ſo weit brin- gen kann, als durch Liebkoſungen. Wenn
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Der Haupteinwand, den Gretchen aber
fuͤr ſich behielt, war, daß obgleich ſie mit
zwey Accenten verlangt, daß ich wenigſtens
noch einmahl nach L — kommen ſollte, ich
doch in ſo langer Zeit nicht gekommen — —
Zwar hatt’ ich geſchrieben; allein, da war
auch keine Spur, die dieſes Obgleich heben,
oder nur mindern koͤnnen.
Ein Brief von mir an Gretchen, der meine
Reiſe nach Goͤttingen eroͤfnete, gab allem
eine andre Wendung. Der Prediger ſahe
dieſen Brief als eine goͤttliche Schickung an.
Die Predigerin ſelbſt war der Meynung, daß
die Relation nicht abgehen doͤrfe. Er hat doch
keinen Amtswachtmeiſter mehr, ſetzte Hanna
hinzu, und Gretchen? Sie haͤtte freylich be-
denken koͤnnen, daß ihre Eltern arm waͤren,
und ihre Mutter noch obenein Lindenkrank;
allein dies war ihr wenigſter Kummer. Es
iſt nicht die einzigſte und ſicherſte Art, Maͤd-
chens durch Schmeicheleyen zu fahen. Man
ſollte kaum glauben, was in einem unbefan-
genem Weibsbilde Raum hat. Eine Gros-
muth, die uͤber allen Ausdruck iſt. Ich ge-
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/322>, abgerufen am 22.11.2024.
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