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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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nicht Curländer gerad über gewohnt und ihr
Herz durch buhlerische Blicke verdorben ha-
ben, was kann sie nicht? Wißt ihr, Freunde,
wer die größten Menschenfeinde sind? Die,
denen die Menschen am meisten gutes gethan.
Diese Beglückten empfinden ihren Unwerth,
sie wissen am besten, durch was für Wege sie
sich dies und jenes erschleichen, und eben dies
macht sie zu Menschenfeinden. -- Unglück,
Freunde, das man duldet, leitet uns oft zur
genauesten Menschenliebe. -- Daher Freud
und Leid, Sarg und Hochzeitbette, so nah
verwandt! Nichts ist natürlicher, als daß
Gretchen Ja sagte. Sie hätt' es gesagt,
wenn gleich Nathanael nicht so geweint, als
er gethan, wenn er gleich den Abschied nicht
genommen. Gut ist gut; allein besser ist bes-
ser. Einer der Buße thut, ist besser, als
neunzig, die der Buße nicht bedürfen. -- Ehe
es sich noch schickte die Bedenkzeit zu schlüßen,
wiewohl alles schon bedacht war, erschienen
Se Hochgebohrnen, der hohe Eingepfarrte,
mit einer Anwerbung -- auch für Natha-
nael. Das Nathanaelsche Gütchen stieß an
eines des Grafen. Wer viel im Himmel ha-
ben will, muß sorgen, daß die Welt frucht-
bar sey und sich mehre. Man gab, um alles

fein

nicht Curlaͤnder gerad uͤber gewohnt und ihr
Herz durch buhleriſche Blicke verdorben ha-
ben, was kann ſie nicht? Wißt ihr, Freunde,
wer die groͤßten Menſchenfeinde ſind? Die,
denen die Menſchen am meiſten gutes gethan.
Dieſe Begluͤckten empfinden ihren Unwerth,
ſie wiſſen am beſten, durch was fuͤr Wege ſie
ſich dies und jenes erſchleichen, und eben dies
macht ſie zu Menſchenfeinden. — Ungluͤck,
Freunde, das man duldet, leitet uns oft zur
genaueſten Menſchenliebe. — Daher Freud
und Leid, Sarg und Hochzeitbette, ſo nah
verwandt! Nichts iſt natuͤrlicher, als daß
Gretchen Ja ſagte. Sie haͤtt’ es geſagt,
wenn gleich Nathanael nicht ſo geweint, als
er gethan, wenn er gleich den Abſchied nicht
genommen. Gut iſt gut; allein beſſer iſt beſ-
ſer. Einer der Buße thut, iſt beſſer, als
neunzig, die der Buße nicht beduͤrfen. — Ehe
es ſich noch ſchickte die Bedenkzeit zu ſchluͤßen,
wiewohl alles ſchon bedacht war, erſchienen
Se Hochgebohrnen, der hohe Eingepfarrte,
mit einer Anwerbung — auch fuͤr Natha-
nael. Das Nathanaelſche Guͤtchen ſtieß an
eines des Grafen. Wer viel im Himmel ha-
ben will, muß ſorgen, daß die Welt frucht-
bar ſey und ſich mehre. Man gab, um alles

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[317/0323] nicht Curlaͤnder gerad uͤber gewohnt und ihr Herz durch buhleriſche Blicke verdorben ha- ben, was kann ſie nicht? Wißt ihr, Freunde, wer die groͤßten Menſchenfeinde ſind? Die, denen die Menſchen am meiſten gutes gethan. Dieſe Begluͤckten empfinden ihren Unwerth, ſie wiſſen am beſten, durch was fuͤr Wege ſie ſich dies und jenes erſchleichen, und eben dies macht ſie zu Menſchenfeinden. — Ungluͤck, Freunde, das man duldet, leitet uns oft zur genaueſten Menſchenliebe. — Daher Freud und Leid, Sarg und Hochzeitbette, ſo nah verwandt! Nichts iſt natuͤrlicher, als daß Gretchen Ja ſagte. Sie haͤtt’ es geſagt, wenn gleich Nathanael nicht ſo geweint, als er gethan, wenn er gleich den Abſchied nicht genommen. Gut iſt gut; allein beſſer iſt beſ- ſer. Einer der Buße thut, iſt beſſer, als neunzig, die der Buße nicht beduͤrfen. — Ehe es ſich noch ſchickte die Bedenkzeit zu ſchluͤßen, wiewohl alles ſchon bedacht war, erſchienen Se Hochgebohrnen, der hohe Eingepfarrte, mit einer Anwerbung — auch fuͤr Natha- nael. Das Nathanaelſche Guͤtchen ſtieß an eines des Grafen. Wer viel im Himmel ha- ben will, muß ſorgen, daß die Welt frucht- bar ſey und ſich mehre. Man gab, um alles fein

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/323>, abgerufen am 22.11.2024.