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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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Ich längne es nicht, daß wir Menschen
vielleicht bey dieser Gelegenheit eine Dosis
Grosmuth räuchern wollen. Der Erbe zei-
get, er habe, unerachtet der Erblaßer nicht
mehr da ist, noch Liebe für ihn, und mehr, als
für den Nachlas. -- Der Sohn will die
Pflicht der Erkentlichkeit erfüllen gegen den,
der ihm sein Bild anhieng, das auch noch im
Tode nicht ohne übereinstimmende Aehnlichkeit
ist. Die Tochter will beweisen, daß sie eine
tugendhafte Mutter gehabt, daß heißt mit
andern Worten, daß sie selbst tugendhaft sey.
Mine weinte bey dem Grabe ihrer Mutter
meinet und ihrer Mutter wegen. Dem Gra-
fen war dieser Eingrif wieder nicht am rechten
Orte; denn ich konnte den Namen Mine, der
mir mehr als alle Namen ist, nicht ausspre-
chen, ich kann es noch nicht, ohn' aus dem
Concept zu kommen. Diesmahl half der
Graf mir ein. -- Das alles leugn' ich nicht;
indeßen bin ich der lebendigen Zuversicht, daß
weil alle Nationen so stimmig in puncto puncti
sind, es sey die Nachexistenz der Seele die Ur-
sache dieses Hebens und Tragens, das man
mit ihrer Hülle vornimmt. Man ehrt sie im
Körper, so wie den Mann im Bilde, und will
das, was ein Geist getragen hat, in einer Eh-

ren-

Ich laͤngne es nicht, daß wir Menſchen
vielleicht bey dieſer Gelegenheit eine Doſis
Grosmuth raͤuchern wollen. Der Erbe zei-
get, er habe, unerachtet der Erblaßer nicht
mehr da iſt, noch Liebe fuͤr ihn, und mehr, als
fuͤr den Nachlas. — Der Sohn will die
Pflicht der Erkentlichkeit erfuͤllen gegen den,
der ihm ſein Bild anhieng, das auch noch im
Tode nicht ohne uͤbereinſtimmende Aehnlichkeit
iſt. Die Tochter will beweiſen, daß ſie eine
tugendhafte Mutter gehabt, daß heißt mit
andern Worten, daß ſie ſelbſt tugendhaft ſey.
Mine weinte bey dem Grabe ihrer Mutter
meinet und ihrer Mutter wegen. Dem Gra-
fen war dieſer Eingrif wieder nicht am rechten
Orte; denn ich konnte den Namen Mine, der
mir mehr als alle Namen iſt, nicht ausſpre-
chen, ich kann es noch nicht, ohn’ aus dem
Concept zu kommen. Diesmahl half der
Graf mir ein. — Das alles leugn’ ich nicht;
indeßen bin ich der lebendigen Zuverſicht, daß
weil alle Nationen ſo ſtimmig in puncto puncti
ſind, es ſey die Nachexiſtenz der Seele die Ur-
ſache dieſes Hebens und Tragens, das man
mit ihrer Huͤlle vornimmt. Man ehrt ſie im
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das, was ein Geiſt getragen hat, in einer Eh-

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[34/0040] Ich laͤngne es nicht, daß wir Menſchen vielleicht bey dieſer Gelegenheit eine Doſis Grosmuth raͤuchern wollen. Der Erbe zei- get, er habe, unerachtet der Erblaßer nicht mehr da iſt, noch Liebe fuͤr ihn, und mehr, als fuͤr den Nachlas. — Der Sohn will die Pflicht der Erkentlichkeit erfuͤllen gegen den, der ihm ſein Bild anhieng, das auch noch im Tode nicht ohne uͤbereinſtimmende Aehnlichkeit iſt. Die Tochter will beweiſen, daß ſie eine tugendhafte Mutter gehabt, daß heißt mit andern Worten, daß ſie ſelbſt tugendhaft ſey. Mine weinte bey dem Grabe ihrer Mutter meinet und ihrer Mutter wegen. Dem Gra- fen war dieſer Eingrif wieder nicht am rechten Orte; denn ich konnte den Namen Mine, der mir mehr als alle Namen iſt, nicht ausſpre- chen, ich kann es noch nicht, ohn’ aus dem Concept zu kommen. Diesmahl half der Graf mir ein. — Das alles leugn’ ich nicht; indeßen bin ich der lebendigen Zuverſicht, daß weil alle Nationen ſo ſtimmig in puncto puncti ſind, es ſey die Nachexiſtenz der Seele die Ur- ſache dieſes Hebens und Tragens, das man mit ihrer Huͤlle vornimmt. Man ehrt ſie im Koͤrper, ſo wie den Mann im Bilde, und will das, was ein Geiſt getragen hat, in einer Eh- ren-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/40>, abgerufen am 27.04.2024.